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Frühe Zeugen der Marienverehrung im Euskirchener Lande
Emmerich Joseph Pesch




Verhältnismäßig lange dauerte es, ehe in der römischen Kirche eine öffentliche Verehrung der mutter Gottes aufkam. Zuerst wurden die Tatsachen des Lebens und des Erlösungswerkes Jesu durch Feste verherrlicht; dann zwangen die Gedächtnistage der zahlreichen Märtyrer zum weiten Ausbau des kirchlichen Festkalenders, und zuletzt erhielt die Verehrung derjenigen heiligen Personen, die keine Märtyrer waren, feste Stützen durch Gedächtnistage. Aus diese Periode gingen die Muttergottesfeste hervor. Jedoch die Verehrung der Mutter Gottes ist älter als ihre Feste. Denn schon Konstantin soll ihr zu Ehren in der neuen Reichshauptstadt drei Kirchen erbaut haben. Ephesus, wo 431 die dritte allgemeine Synode stattgefunden, besaß eine ansehnliche Marienkirche; in ihr tagte das Konzil, das so bedeutsam wurde in der Geschichte der Verehrung Marias, daß es wohl als Markstein darin gelten darf. Denn infolge desselben kam das bis dahin bestehende einzige Muttergottesfest, das nach Weihnachten gefeiert wurde und durch Proklus, den Patriarchen von Konstantinopel (gest. 446) bezeugt ist, nach dem Okzident, wo es ebenfalls im Gefolge des Weihnachtsfestes verblieb. Dafür war bestimmend die Beziehung der seligsten Jungfrau zum Erlösungswerke. Als aber im 6. Jahrhundert die Frage nach dem Tode Marias lebhafter besprochen wurde, ward bald ihr glorreiches Lebensende und ihre Verherrlichung Gegenstand eines eigenen Festes, nämlich des Festes der Affumptio, der Himmelfahrt Marias. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dieses Fest unter den eigentlichen Marienfesten das älteste. Ende des 6. Jahrhunderts wurde dasselbe zunächst im Orient, dann auch in der römischen Kirche auf den 15. August verlegt.

Die von Rom ausgesandten Glaubensboten brachten mit der Lehre von der Muttergottes auch ihr Hauptfest in die neubekehrten Länder. So empfing dasselbe unsere deutsche Heimat aus dem apostolischen Eifer und der Organisation des hl. Bonifatius. Der Einführung des Marienfestes war der Boden vorbereitet durch die schon lage vor Bonifatius durchgeführte Organisation der Diözese Köln. Dies hatte das römische Germanien mit seinen beiden Hauptstädten Köln und Trier dem christenfreundlichen Kaiser Konstantius Chlorus und Konstantin selbst zu verdanken. In den ersten Regierungsjahren des letzteren wirkt in unserer Heimat als großer Organisator der Reichsbischof Maternus von Köln (313). In der nachkonstantinischen Zeit ist in gleicher Weise St. Severin bezeugt.

Unter den ersten Gotteshäusern, die der Wirksamkeit dieser vorbonifatianischen Bischöfe zu verdanken sind, befinden sich schon Marienkirchen. Der politische Siegeszug des Christentums unter dem Banner Konstantins, der vom Rheinland ausging, entfaltete nämlich von Anfang an auch die Fahne der Marienverehrung. Hauptsitze derselben wurden die ehemaligen Römerorte. In der römisch-christlichen Zeit des 4. und 5. Jahrhunderts erstanden hier die der Mutter Gottes geweihten Send-Pfarrkirchen. So hießen die zuerst gegründeten Mutterkirchen eines Bistums oder Landstrichs. Auch führten sie die Bezeichnung „Christianität“. Solche Sendkirchen bestanden in den Römerorten Neuß, Andernach, Koblenz, Aachen usw. Sie wurden für die Christianisierung eines Landstrichs von größter Bedeutung, wurden für das kirchliche Leben des Volkes die Ausstrahlungsfaktoren der Orndung und Stärkung. Eine solche Christianität war Zülpich. Dieser Ort war fränkische Königspfalz und aus der Römerzeit erhalten geblieben (Schlacht bei Tolpiakum 498). Seit dem frühen Mittelalter tagte hier das bischöfliche Sendgericht. Der Umstand, daß an diesem alten Orte ein altes Gotteshaus der Mutter Gottes geweiht ist, dessen Bestehen in dem noch erhaltenen Mauerrest und einer Ansicht vom Jahre 1842 für die Zeit des Anfanges des 13. Jahrhunderts (Urkunde des Pfalzgraf Heinrich v. J. 1209) bezeugt wird, führt zur Feststellung einer der Organisationszeit der Diözese angehörenden Urpfarrei. Weitere Marienkirchen besitzt der Landstrich um Euskirchen nicht. Trotzdem ist er reich alten Zeugnissen der Marienverehrung. Das älteste ist die frühromanische Madonna der Klosterkirche in Hoven bei Zülpich. Sie ist ein Werk der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und besitzt hohen künstlerischen Wert. Es folgt dem Alter nach die ebenfalls hölzerne Madonna von Buschhoven (Kr. Rheinbach). Ein Ritter Schilling soll sie im J. 1190 auf der Jagd mitten im Walde, zwischen zwei brennenden Lichtern stehend, gefunden haben. Nach der Säkularisation wurde sie 1806 in die Pfarrkiche zu Buschhoven übertragen.

Aus frühgotischer Zeit (Anf. des 14. Jahrh. stammt eine Madonna der Stiftskirche in Münstereifel. Sie stellt ein Kunstwerk dar, an dem besonders die „wundervolle Zartheit, in der die Gestalt geschwungen ist“ (Clemen, Kunstdenkmäler) unsere Bewunderung erregt. Der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. gehört eine hölzerne Madonna in der Rektoratkirche zu Oberelvenich an, erreicht jedoch den Kunstwert der vorgenannten nicht. Von Skulpturen verdienen sodann weiter Erwähnung mehrere Marienfiguren des 15. Jahrhunderts. So eine lebensgroße Madonna von schönem Schwung in der Iversheimer Pfarrkirche, eine solche in den Pfarrkirchen zu Erp, Escheiler (auf der Höhe), Kierdorf, alle im Kreise Euskirchen gelegen.

Ikonographische Zeugnisse für frühe Marienverehrung liefern Münstereifel mit einem Chormantel aus dem Jahre 1550, Dürscheven durch ein Ölgemälde des Anfangs des 16. Jahrhunderts, Elsig durch ein Triptychon aus derselben Zeit sowie einige andere Kirchen mit kleineren Werken.

Als wichtige Künder der Liebe des Volkes zur allerseligsten Jungfrau begegnen dem Forscher früher Marienverehrung auch die „hoch überm niederen Erdleben“ ihres Amtes waltenden Glocken. Eine große Reihe von Marienglocken ist aus den tiefen Gruben der alten Glockengießer-Werkstätten hervorgegangen. Ihre Sprüche klingen oft wie kleine Hymnen auf die Gebenedeite. Alte Volkspoesie trägt das geweihte Erz, und wem sie bekannt, vermeint oft im dahinschwebenden Ton ihre Worte und Reime zu vernehmen. Die älteste Marienglocke besitzt die Pfarrkirche von Kleinbüllesheim. „Hoe vas est susum in honorem beate Marie virginis“ lautet die Inschrift (zu Deutsch: „Dieses Gefäß ist gegossen zu Ehren der seligen Jungfrau Maria“). Als Jahr des Gusses ist 1372 angegeben. Es folgen dann die Marienglocken der Pfarrkirchen in Liblar und Euskirchen (St. Martin). Erstere entstammt aus dem Jahre 1403 und trägt den Spruch: „Maria heysen ich, ze Gott Deinste lutt man mich“. Die Euskirchener Marienglocke trägt den Gruß des Engels und ist im Jahre 1409 gegossen worden. Die Marienglocke der Flamersheimer Pfarrkirche aus dem Jahre 1428 verleiht Marie den Ehrentitel „Deferfatrix contra ex einxxxx ???“ (unleserlich) d. i. Beschützerin gegen alle Unbill und Beschwerden. Nach „Clemen Kunstdenkmäler“ befinden sich in beiden Kreisen Euskirchen und Rheinbach 23 Marienglocken aus der Zeit des 14., 15., 16. und 17. Jahrhunderts, davon allein 13 aus dem 14. und 15. Jahrhundert.

Auch in den handschriftlichen Urkundenbeständen überrascht uns eine Fülle früher Zeugnisse der Marienverehrung. Ebenso bergen die im Gebrauche der Pfarrkirchenchöre ergrauten und vergilbten Folianten des liturgischen Gesanges aus dem Mittelalter sowie der alten Meßbücher manche alten, aber melodisch immer noch glänzenden Perlen der Marienminne. Es sei nur an den am Ende der alten voluminösen Choralbücher oft angehängten lateinischen Sequenzenschatz erinnert.

Hocherfreulich ist das Ergebnis diese Betrachtung: Wir können in der Geschichte unserer engeren heimat hoch hinaufgehen, immer und überall, ja aus den ersten Jahren der Christianisierung, strahlen uns Liebe und Vertrauen unserer Vorfahren zur Gottesmutter entgegen. Ihre Dokumente mannigfachster Art seien uns Mahner, dies Erbteil zu hüten allezeit bis in die fernsten Geschlechter.


Aus: Unsere Heimat im Wandel der Zeit, Beilage zum Euskirchener Volksblatt, 3. Jahrgang,, Nr. 11, 1926, S 87 und 88.







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