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Versunkene Kulturen





Versunkene Kulturen
von Alfons Raith

Bei der Bahamainsel Baganie wurde eine bisher noch nicht bekannte und auch auf den Karten nicht verzeichnete Insel entdeckt, die die Ruinen einer großen alten Stadt trägt. Man nimmt an, daß diese Insel durch ein Erdbeben über den Meeresspiegel angehoben worden ist. Es muß sich um Land handeln, daß bereits vor vielen Jahrhunderten, jedenfalls vor Entdeckung Amerikas ins Meer versunken ist.

So meldete vor einiger Zeit eine Pressenotiz. Und es stimmt. Ewig verändert ist die Oberfläche der Erde. Küsten, ja Länder versinken, Neuland taucht auf. Seen und weite Meere verströmen, jahrtausende altes Festland wird zum Meeresboden. So war es zu allen Erdepochen, so ist es noch in der Jetztzeit: Südschweden sinkt langsam unter Wasser. Ueberreste alter Wälder findet man dort schon im tiefen Meer. Die Senkung greift auch über auf die nordwestlichen Küsten von England, Holland, Deutschland. Viel weiß davon die Geschichte im letzten Jahrtausend zu berichten. 1044 versinkt die Hälfte der Insel Rügen, Vineta verschwindet, die große Insel Wittland ist gegen 1200 untergetaucht mit Dörfern, Torfmooren, Wäldern. Und so geht es fort. Das Mittelmeer steigt ebenfalls. Viele Straßen altgriechischer Städte liegen heute unter dem Wasserspiegel, vereinzelt auch schon längst verlassene Orte. Allenthalben senken sich die Südküsten im Westatlantik dagegen, ebenso im Stillen Ozean ist der Meeresboden seit Jahrzehnten im Aufsteigen begriffen. Kaum vergeht ein Jahr, wo nicht ein Regierungslotschiff ungewöhnliche Bodenerhebungen meldet. Unterschiede von Tausenden von Metern sind schon in den letzten Jahrhunderten gemessen worden. Besonders im Stillen Ozean, im Gebiete der Hawaii-Inseln. Es scheint dort ein neuer Kontinent aus den Fluten tauchen zu wollen.

Seit Urzeiten ringen Erde und Wasser um die Herrschaft. Alles wird mitbetroffen. Flora, Fauna und auch das Menschengeschlecht. Die Elemente sind nimmermüde Zerstörer menschlicher Kultur. Meereswellen, Lavaströme, Klimaänderungen vernichten die Früchte jahrhundertelanger Arbeit. Noch vor 2000 Jahren konnten Griechen und Römer in Nordafrika glänzende Städte bauen. Kyrene, Ptolemais, Leptis Magna. Dann mußte man sie aufgeben. Die Wüste hatte sich jene Plätze wieder erobert. Heute sind es nur mehr Oasen der Sahara. In zentral-Asien versiegte vor etwa 12000 jahren ein riesiges Wasserbecken, das Mongolische Meer. Flüsse versandeten, Trockenheit übernahm überhand, die Wüste hielt Einzug in Turkestan. Jahrtausende lang währte dort der Kampf der Völker mit den Naturgewalten. Aber von den einstigen Millionenvölkern Turkestans wissen wir nicht mehr viel. Riesenstädte, einst voll blühenden Lebens, starben aus. Heute sind es ungeheure Ruinenfelder. Baktra, Sigagird, Chutum. Und in den Pamir-Wüsten stößt man auf Dutzende von verlassenen Ruinenstädten.

Waren in diesen Fällen die Menschen nur zu allmählicher Abwanderung gezwungen, so wissen wir auch um plötzliche Katastrophen, welche ganze Völker vernichteten, ihre Städte, Kultanlagen in Ruinenfriedhöfe verwandelten. Wieviele Vulkanausbrüche katastrophalen Charakters kennt allein schon die historische Zeit! Die Sintflut- und Landzerstörungsschilderung, die bei fast allen Völkern verbreitet sind, lassen sich nur durch lang zurückliegende, großartige Ueberflutungen, Vulkanausbrüche oder Erderschütterungen erklären. Auf der Bolivianischen Hochfläche muß vor tausenden von jahren, noch vor der Inka-Kultur ein Millionenvolk die Gegend des heutigen Titicaca-Sees besiedelt haben. Künstliche Bewässerungsanlagen, die sich dort in einer Länge von 2000 km und einer Breite von 200 km hinziehen, lassen keinen anderen Schluß zu. Ein meilenweites Trümmerfeld, die sogenannte Tempelstadt Tiahuanako, sind die einzigen Ueberreste jenes uralten Staatengebildes, von dem wir keinerlei Kunde mehr haben. Aber wir wissen, daß jene Stadt durch eine ungeheure Flutwelle vernichtet wurde. Auf der Bolivianischen Hochfläche befand sich - vor vielen Jahrtausenden - ein riesiges Binnenmeer, das wohl durch einen gewaltigen Bergsturz plötzlichen Abfluß fand, der der Stadt den Tod brachte. Meterdicke Schichten mit Gebeinen von Menschen und Tieren sind die stummen Zeugen dafür. Nur mehr durch Ausgrabungen, durch systematische Untersuchungen der riesenhaften Tempelruinen können wir Kunde erlangen von jenem unbekannten Naturvolk. Ueberall in der Alten und Neuen Welt sind große Ruinenfelder von längst verschollenen Kulturen. Und was die Natur nicht zerstörte, vollendete in der Vernichtung der Mensch selbst. Zu allen Zeiten, bei allen Rassen gab es verheerende Kriege. Ganze Völker wurden so ausgerottet. Als Cortez Mexiko eroberte, zerstörte er die Maya-Kultur. Von dem ungeheuerlichen Reichtum an Kunstwerken, Büchern, Kulturdenkmälern der Mayas sind nur wenige kümmerliche Reste erhalten geblieben. In allen Gegenden der Erde ragen aus unbekannten Kulturzeiten Reste riesiger Bauten, großartiger Städte in die Gegenwart hinein. Aber erst seit wenigen Jahrzehnten befaßt sich die Menschheit mit der Erforschung alter Kulturen, erst seit einem Jahrhundert gibt es eine Altertumswissenschaft. Noch die vorletzte Generation wußte nichts von den gewaltigen, in den Urwäldern Mexikos, Yukatans, Kambodjas begrabenen Tempelstädten. Viele der sogenannten Mittelmeer-Kulturen, lediglich bekannt aus uralten Trümmern prächtigster Stadtanlagen sind heute noch ungelöste Rätsel hinsichtlich ihrer Erbauer.

In allen Erdteilen gräbt man aus. Aus Felsenschutt, aus Wüstensand kommen Gefäßscherben, Tontafeln, Münzen, Geräte-Fragmente, oft ganze Plastiken und geben Kunde von verschollenen Städten, von unbekannten Völkern, Mühsam macht sich der Archäologe ein Bild von der Kunst, dem Wissen, von dem allgemeinen Leben längst vergangener Kulturzeiten. Viel ist so in den letzen Jahren erfaßt worden. Die Ausgrabungen in Ur (Südbabylonien) führten zur Entdeckung von 6000 Jahren alten Gräberschatzkammern. Wundervolle Kunstarbeiten dieser ältesten bis jetzt bekannten Kultur verweisen aber auf noch frühere Zivilisationen. Seit etwa 30 Jahren gräbt man im inneren Kleinasien eine Unmenge Bildwerke, Felsenreliefs aus: Zeugnisse, Ueberreste des Hettiterreiches, das wie die Trümmer von vielen Großstädten - es sollen gegen hundert sein - besagen, den Großstädten Aegyptens und Babyloniens sicher ebenbürtig war. Auch Afrika hat eine reiche Vergangenheit. Das Gebiet zwischen Nyassa-See und Basutoland soll vor 7000 Jahren Hochkulturzentrum gewesen sein. In Rhodesia (Südafrika) liegen Reste mächtiger steinerner Befestigungswerke. Das geheimnisvolle Goldland Ophir der alten Aegypter ist immer noch verschollen. Mächtige Negereiche müssen einstens in Zentralafrika geherrscht haben. Aber wir haben für all dies nur Vermutungen. Viele Südsee-Inseln tragen riesige Mauerwerke, Zeugen einer unbekannten Vergangenheit. Die heutigen Bewohner dieser Gebiete haben keine Erinnerung mehr daran; denn sie sind wie auch die Neger geschichtslos. Sie kennen nur mündliche Ueberlieferung. So wird vieles immer Geheimnis blieben. Die Schrift der Etrusker ist heute noch unentziffert und sie herrschten einst, vor den Römern, in ganz Italien. Das Rätsel der Oster-Insel, die Frage nach der vorcolumbinischen Frühbevölkerung Amerikas harren der Lösung, warten auf Beantwortung. Der ganze Orient strotzt vor Ruinen, Ruinen aus allen Zeitaltern. Ebenso ist es in Inner-Asien, Afrika und Amerika. Und wieviel mag da überall noch unter Sand und Schutt liegen? Hier ist Arbeit für Dutzende Forscher-Generationen vorhanden.

Zahllos sind die Völker und Kulturen über die Erde geschritten. Aber ebenso zahllos sind Völker auch verschollen. Was übrig blieb sind Schutt, Trümmer und als einziges Wahrzeichen: Sagen. Jedes Naturvolk hat Sagen, vage Ueberlieferungen, die von begrabenen Zivilisationen, von verschollenen Geschlechtern, geheimen Stätten und unbekannten Göttern erzählen.

Quelle: Euskirchener Volksblatt vom 25. Febr. 1931







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