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Michelsberg





Nächtliche Eifellandschaft um den Michelsberg
Von H. G.

Es ist schon etwas an den Eifeler Sommerabenden, wenn die Luft fast stillsteht über der feuchten Erde und ganz satt ist vom Duft der Wiesen und Wälder. Im Tale quarren am Saum der Bombenlöcher die Chöre der Frösche, an- und abschwellend, ohne Aufhören. Um die Baumkronen fächeln die Fledermäuse, und wer durch die Hecken schreitet, dem streift manches mal ein Nachtfalter das Haar, oder ein verspäteter Käfer burrt mit scharfem Summton am Ohre vorbei. Spitzmäuse piepen nadelfein von Stimmchen im Altlaub am Boden und rascheln schüchtern. Vor dem Tritt des Wanderers fährt eine Amsel, erschrocken zippend, aus dem Schlaf übers Nest. Jenseits der hecken fängt die Wiese an, und dort liegt ein dünner Nebelschleier halbmannshoch über dem weichen Boden und deckt den Fußpfad fast zu, der durch das betaute Gras führt, auf den Steg zu, der sich über den Bach legt. Der Bach gluckt so leise, daß man es nur vernimmt, wenn man mitten auf der Brücke stehen bleibt und seine Sinne anspannt. Manchmal zischelt es flüsternd, wenn das ziehende Wasser die Rohrhalme am Wein aneinanderreibt. Auf dem tiefschwarzen Spiegel des Wassers zittert der Widerschein eines großen Sternes; wäre der nicht, man könnte kaum ertasten, wo in der Tiefe Finsternis und Flut aneinander rühren. Bei Tage sieht man hin und wieder Steine auf dem Grunde, aber bei Nacht ist die Tiefe ohne Maß und Ende. Auf nächtlicher Brücke ist den Mächten der anderen Welt leicht Gewalt und Bann über den Menschen gegeben, und manchen hat dort bei Nacht der Schwindel gepackt, der ihn zu lustvollem Fall ins untiefe Bachwasser lockte.

Jenseits des Baches beginnen die Äcker des Dorfes. Der Roggen steht stattlich in Halmen, und die Schöpfe der Kartoffelstauden haben die Ackerkrume von unten aufgebrochen.

Droben auf dem Bergscheitel, wo der Buchenhochwald abbricht, streckt sich eine breite Trift bis an einen halbhohen Tannenschlag, der zur Stunde schwarzzackig gegen den blauen Nachthimmel steht. Hier oben weht trotz der Stille im Tal noch immer ein schwacher Südwind und atmet den Steigenden mit dem Harzdufte der Tannen an. Hier dämpfen auch kein Talnebel und Herdrauchschleier den Glanz der Sterne. Der Heerwagen schwebt hoch drüben über den Berghängen. Zu Häupten der Milchstraße schlängelt wie ein Bachlauf durch die Sternenwiese und trägt die Funken ihrer größeren Lichter auf ihrem Rücken.

Ich liege rücklings auf einer derben Bank, die mitten auf dem Bergnacken steht, und öffne meine Augen dem gestirnten Himmel. Nichts Irdisches ragt in mein Gesichtsfeld hinein, und es dauert nicht lange, so überkommt mich das Gefühl, im unerschöpften Raume frei zu schweben. Es rieselt und strömt um mich her, als verschwämme ich in einen Flusse, der noch viel leichteren Stoffes als Wasser ist. Immer mehr Sterne, je länger ich hinaufschaue, enttauchen dem Dunkel; mein Auge wird immer empfindlicher für die feinen und feinsten Funken. Was der Verstand nicht zu denken vermag: hier wird es sinnenfällig, das Zahllose, das Unendliche. Und ich schwebe mitten darin, als könnte es nicht anders sein, als wäre ich ein Stern unterm Sternenheer. Die Schranken meiner Erdennatur hören auf, Zwang zu sein, als kostete es nun nichts denn den einen schmerzlosen Entschluß, sich hinausfließen zu lassen aus dem Ich in das Andere, das Unbeschränkte, wo Sein und Nichtsein ihres Wortes Sinn verloren haben.

Eine Feuerkugel fährt sprühenden Schweifes quer über das Gewölb der Nacht, und ich besann mich, daß eine Sternschnuppe dem Menschenkinde hienieden einen Wunsch freistelle.

Über der Silhouette des Michelsberges, hoch im weiten nachtblauen Himmel, schwimmt einsam - wie tränenfeucht schimmernd - ein Stern ...

Quelle: Euskirchener Volksblatt Nr. 218 vom 18. September 1951
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