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Zum Lüfthildiskult
Schw. Magd. Frank, Rheinbach




Die hl. Lüfthildis, nach der Legende ehemalige Burgherrin in Lüftelberg bei Rheinbach, ist als eine echte Volksheilige anzusprechen. Über ihre Lebenszeit ist uns nichts Näheres bekannt. Umso mehr sprechen Volksüberlieferung und –verehrung, die uns auf eine Heilige des Frühmittelalters schließen lassen. Obgleich ihre Verehrung heute nur einen engen Raum umfaßt, so läßt sich für die frühere Zeit doch eine weitere Kultverbreitung im Rheinlande erschließen. Wenn die Attribute eines Heiligen sonst Ausdruck seiner volkstümlichen Verehrung sind, so gibt hier das Kirchenmodell, mit dem die hl. Lüfthildis in den Darstellungen auftritt, Zeugnis von ihrer „herrlichen Grabstätte“, die nach der Erhebung 1623 berühmt wurde.

Das bedeutendste Ausstrahlungsgebiet des Lüfthildiskultes ist das Ahrgebiet. Hier finden sich Lüfthildiskapellen und –darstellungen in Staffel, Odesheim, Döttingen, Altenahr und Sinzig. Nachweislich ist der Lüfthildiskult aber weit über die Ahr hinaus verbreitet gewesen.

Der Tuffsteinaltar in der Lüfthildiskapelle zu Staffel, Pfarre, Kesseling, zeigt die Heilige zweimal mit einem unbestimmten Kirchenmodell. Die Kapelle, die im Schlußstein die Jahreszahl 1794 trägt und in einem an der südöstlichen Außenseite des Ostabschlusses eingemauerten Basaltkreuz die Zahl 1645 aufweist 1), dürfte zeitlich mit dem Altar, der aus der Mitte des 17. Jahrhunderts stammt, zusammenfallen. Sie wurde als Ersatz für eine alte Marienkapelle, die als Verkehrshindernis aus dem Wege geräumt werden mußte, errichtet. 2)

In der Lüfthildiskapelle des 18. Jahrhunderts zu Odesheim in der Pfarre Mutscheid 3) erscheint die Heilige mit dem dortigen Kapellenmodell. Hier und in Staffel dürfte es sich um das Patronatszeichen handeln.


Ergänzungsfoto vom 24.10.2009: Hl. Lüfthildis in Odesheim

In der Kapelle zu Döttingen, Pfarre Wanderath, ist die hl. Lüfthildis neben dem hl. Valentin zweite Patronin. Das Kirchenattribut tritt hier nicht auf. Darum sei sie an anderer Stelle behandelt.

Das Kirchenmodell, das eine Lüfthildisstatue aus dem 18. Jahrhundert in der Pfarrkirche zu Altenahr trägt 4), gleicht der Lüftelberger Kirche.

Ein Lüfthildisbildstock stand ehemals am Aufgang des Schlosses Ahrenthal bei Sinzig. Der Pfad, der von diesem Bildstock aus zum Schlosse hinaufführt, heißt im Volksmund heute noch „An der hl. Lüfthildis rauf“. Der Bildstock war vermutlich aus Weiberner Naturtuffstein und zerfiel im Jahre 1940 beim Öffnen des Eisengitters, das die Nische der Vorderseite abschloß. An seiner Stelle wurde ein neuer Stein in der Form des alten errichtet und eine neue Lüfthildis-Figur geschaffen. Die alte soll eine Halbfigur aus Stein gewesen sein. Im Jahre 1941 konnte ein 91jähriger Mann sich ihrer noch genau erinnern und erklärte, daß sie ein Kirchenmodell auf dem Arm getragen habe. Diese Statue wurde vor etwa 40-50 Jahren gestohlen. Die neue erlitt im Jahre 1946 dasselbe Schicksal. Auch sie ist in jüngster Zeit wieder ersetzt worden. 5)

Meine Bemühungen, auf Grund des angegebenen Bildstockmaterials und seiner Form das Alter festzustellen, führten zu keinem sicheren Ergebnis. Falle es sich in der Tat um Weiberner Tuffstein handelte, so läßt sich eher auf ein junges als ein hohes Alter schließen, da Tuffstein, wenn er den Wettereinflüssen stark ausgesetzt ist, schnell verwittert. 6)

Die Altersfrage ist auf Grund der Form allein schwer zu entscheiden. Der Bildstockforscher der Mayener Gegend, Herr Heinrich Pieroth in Mayen, dem ich ein Bild des neuen Bildstocks in Sinzig einsandte, äußerte sich: „Aus dem übersandten Bild ist der Bildstock schwer zu datieren, am Original sicher nicht besser, da er eben neu ist und man keine Möglichkeit hat, den Grad der Verwitterung und die alte Bearbeitungstechnik zu untersuchen.“

Nach dem mir in großzügiger Weise von Herrn Pieroth überlassenen Material zu urteilen, scheint mir ein Bildstock in Niederzissen aus Weiberner Tuff, der aus dem Jahre 1699 stammt, dem Sinziger am nächsten zu stehen. Er ist nach Angabe von Herrn Pieroth verhältnismäßig wenig verwittert, vielleicht, weil er an der geschützten Bergwand steht. Herr Pieroth fand meinen Vergleich treffend.

Für eine starke Kulteinströmung ins Ahrtal sprechen auch weitere Argumente. So zeugt dafür zunächst ein Vers, der die ganze Ahr entlang im Volksmuünde geläufig war. In Adenau hieß er: „Möhnche Märg! Gehs des mit no Lüftelberg?“ „Ne, Möhnche Tröck, mir han di Zimmerlöck. 7) In Sinzig lautete der Spruch noch vor etwa 50 Jahren ähnlich und fand in einem sinngemäßen Kinderspiel Ausdruck. Die Kinder legten dabei ein buntes Tüchlein um den Kopf und sagten sich gegenseitig das Verslein auf:

„Möhnche, Möhnche Märg!
Joht Ihr mit no Lüftelberg?“
„Näh, Möhnche Gidrück!
Et hät noch net zesammegelöck!“ 8)

Von „frommen Pilgern“ wurde die Kapelle in Döttingen 1697 erbaut. 9) Ein Zeugnis der Lüfthildisverehrung wurde auch in Naunheim b. Münstermaifeld festgesetzt. Das Gebetsbuch einer alten Frau trug auf der freien letzten Seite die Notiz: „Hl. Lüfthildis gegen Gicht.“ Die Besitzerin erklärte, daß in ihrer Heimat die hl. Lüfthildis früher gegen Gicht angerufen worden sei. 10) Die im Lüfthildis-Büchlein angeführten Heilungswunder aus Mainz und Trier 11) zeugen von einer Ausdehnung des Kultes weit über das Ahrgebiet hinaus.

Unsere Feststellungen ergeben, daß die Nachweise für die Lüfthildisverehrung im Ahrgebiet mit Sicherheit nur bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zurückverfolgt werden können. Es ist die Zeit nach der glanzvollen Erhebung durch Erzbischof Ferdinand im Jahre 1623, die einen gewaltigen Aufschwung des Lüfthildiskultes zur Folge gehabt haben muß. Die Grabstätte bzw. Grabeskirche wurde berühmt und damit zum gegebenen Attribut für die Heilige und ihre Darstellungen.

Das Ahrtal als solches muß uns als ein sehr günstig gelegenes Aufnahmebecken für eine Kulteinströmung aus dem nördlich sich erstreckenden Vorlande erscheinen. Verkehrs- und handelsmäßig bestand zwischen dem Ahrgebiet und dem Kölner Raum von alters her ein reger Austausch. 12) Der älteste Einwohner Lüftelbergs konnte mir im vergangenen Jahre noch nach alter Überlieferung berichten, daß die Eifelweber des Kesselinger Gebietes ihre Waren auf dem Weg, der aus dem Ahrtal über Rheinbach und Lüftelberg führte, nach Köln brachten und von dort aus wieder neue Rohstoffe heimholten.

Kirchlich war das Ahrgebiet als camera superior des Ahrgaudekanates mit dem Eifelvorland, der camera inferior, zu der Lüftelberg gehörte, verbunden. Als Sitze der in jeder Kammer existierenden Priesterbruderschaft standen sich die Orte Ahrweiler und Lüftelberg gegenüber. 13) So war das Ahrtal das nächstliegende Gebiet, das einem Kultstrom aus dem Lüftelberger Raum offenstand.

Schw. Magd. Frank, Rheinbach

Anmerkungen

  1. P. Clemen, Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, 17. Bd., 2. Abt. (1938), S. 649

  2. Fuss, Staffel und seine Altertümer, in: Jahrb. des Kreises Ahrweiler, Remagen 1937, S. 145 f.

  3. P. Clemen, Kunstdenkmäler 4. Bd., Abt. 2 (1898), S. 130

  4. P. Clemen, Kunstdenkmäler 17. Bd., Abt. 2, S. 143

  5. Diese Angaben verdanke ich Herrn Kfm. Toni Lombard in Sinzig. Die Nachricht von der gestohlenen alten Lüfthildisfigur bestätigte mir auch der Schloßbesitzer von Ahrenthal, Hubertus Graf Spee in dem mir freundlicherweise überlassenen Artikel „Die Madonna mit den vielen Namen“ (Kriegsgefangenenzeitung „Das Inselschiff“ des Lagers Nr. 104 Milnthorpe, England, Nr. 14 vom 2. 8. 47). An Stelle der geraubten Lüfthildisfigur stand jahrelang eine verstümmelte Madonna aus der Pfarrkirche in dem Bildstock. Sie befindet sich heute im Schloß.

  6. Diese Erklärung verdanke ich Herr Dozenten Dr. Frechen vom Mineralogisch-Petrologischen Institut der Universität Bonn.

  7. Frdl. Mitteilung eines alten Pfarrers i. R. zu Adenau. (Übermittelt durch das Pfarramt.)

  8. Freundl. Mitteilung des Herrn Lombard in Sinzig.

  9. Bericht im Lagerbuch der Pfarre Wanderath aus dem Jahre 1863 (Freundl. Mitteilung des Herrn Dechanten Schneider, Wanderath).

  10. Freundl. Mitteilung des genannten Herrn Lombard.

  11. Herrliche Grabstatt. Lüfthildis-Büchlein, Bonn 1768, S. 33 ff.

  12. P. Clemen, Kunstdenkmäler 17. Bd., 2. Abt., S. 9 ff.

  13. P. Heusgen, Alte niederrheinische Priesterbruderschaften, bes. die zu Zülpich, in: Histor. Archiv des Erzbistums Köln, hsg. Von F. W. Lohmann, Heft 2, 1929, S. 16 ff.


Quelle: Volkskunde-Zeitschrift 1951-1954. Sammlung Marliese Wintz Kreuzau, Nachlaß Elisabeth Schumacher / Pfarrer Andreas Pohl Abenden







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