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Kevelaer




„Trösterin, der Betrübten, bitte für uns!“

beten wir immer in der Lauretanischen Litanei und sind uns des Oefteren nicht so ganz bewußt, welchen Sinn und welche tiefe Bedeutung diese Bitte an die liebe Gottesmutter hat, für den hat, der auch wirklichen Trost in dem schweren Herzeleid gebraucht.

Um ihrer lieben Erdenkindern recht nahe zu sein, um aber auch augenscheinlich zu helfen, hat die seligste der Jungfrauen an vielen Orten Gnadenstätten entstehen lassen, die sie selber bestimmt hat, damit ihre Schutzbefohlenen öfter kommen können und dann ihr gequältes, schmerzenreiches Herz ausschütten, und die stillen Sorgen und Nöten ihr anvertrauen, die keines Menschen Ohr hören darf. Wer mit solcher Bitter der Helferin der Christen naht, wird bestimmt Erhörung finden durch ihre allmächtige Fürbitte am Throne ihres Sohnes, Jesus Christus, unserer Herrn und Heilandes.

Zu den vielbesuchtesten Gnadenstätten des linken Niederrheins gehört der Gnadenort Kevelaer, ein kleines Städtchen, unweit der holländischen Grenze, an der Bahnlinie Köln-Kleve gelegen. Ein Kranz typischer niederrheinischer Bauernwälder lagern schachbrettartig um die enganeinander gebauten Häuserreihen, deren schwarze Dachfirste in dem Dunkelblau der welligen Baumkronen unmerklich überfließen. Der bekreuzte Spitzfinger der Basilika überragt die menschliche Siedlung und gibt dem von Ferne kommenden Waller kund, daß die „Consolatrix affliktorum“ *) in greifbarer Nähe ist.

Die hellblaue Kugel des backsteinernen Wasserturmes ist der Lugaus. Seine kantigen Augen überwachen die Bauerngehöfte, die kleinen Dynastien, die nicht willkürlich auf den weißen, körnigen Fließsand hingeworfen sind, sondern die der schlaue und fleißige, strebsame Bauer mit Klugheit und Bedacht auf festen Grund gebaut hat. Um die Gehöfte liegen die Felder, Wiesen und Weiden, alle im Rechteck gefächert. Schwarzweiße Rinder zupfen das handhohe Gras, während wohlgepflegte Pferde ihr Samtfall inder hellen Dunstschicht, die über der Landschaft liegt, glänzen lassen.

Durch diesen Gottesgarten bin ich gewandert und stand plötzlich mitten in Kevelaer. Die Basilika war schnell erreicht. Flackerndes Kerzenlicht fiel mir in die Augen. Vor dem Gnadenbilde kniete in Bänken eine Pilgerschar. Sie hatte die Kerzen geopfert. Ich trat in die Gnadenkapelle. Vor dem Hochaltar, der das Bild der Heiligen Familie zeigte, knieten Einzelpilger und beteten. Seitlich auf einem Betstuhl, hatte sich eine Frau in schon gesetzten Jahren niedergelassen. Sie weinte. Warum?

Ich wandte mich der Gnadenkapelle zu. Eine Prozession kniete in dem hohen, engschiffigen Raum, empfing den Willkommenssegen und opferte die große, reich verzierte Kerze. Nachdem die Waller sich entfernt hatten, schenkte ich meine Aufmerksamkeit den vielen Schildchen, die dort allerorts an den Wänden hingen. Ich las die Namen von Euskirchen, Commern und Meckenheim. Heimatgefühle packten mich beim Anblick der blechernen Prozessionszeichen. Ein Blick nach oben. Die Eisenhütchen der Kerzen waren noch leer. Jetzt erst besah ich mir die Kostbarkeiten der Altäre.

In der Basilika und in der Beichtkapelle dieselbe Pracht und Herrlichkeit. Als Beschauer wollte ich nicht lange in den Heiligtümern weilen, um die Andächtigen in ihren Betrachtungen nicht zu stören.

Deshalb ging ich zu den schwarzgekleideten Frauen, die längs der Kerzenkapelle an Tischen saßen und Kerzen feil hielten. Ich kaufte eine Kerze, um sie zu opfern. Dabei ließ ich mir so einige von Kevelaer erzählen. Am meisten interessierte mich die Geschichte des Gnadenortes, die mir meine freundliche Verkäuferin vielleicht zum tausendsten Male erzählte und die ich dem Sinne nach wiedergeben will.

Die Geschichte des Gnadenortes.

Der Dreißigjährige Krieg wütet im Gelderland. Kevelaer hat besonders darunter zu leiden. Von allen durchziehenden Truppen haben die Kroaten am schlimmsten gehaust. Im Jahre 1635 sollen sie an der Schanze 100 Einwohner von Kevelaer ermordet haben. Die Not und das Elend haben den Höhepunkt erreicht. Ein Lichtblick der Besserung ist nirgends zu sehen.

„Wo die Not am größten, da ist Gottes Hilfe am nächsten.“ Dieses Sprichwort sollten die braven Bewohner von Kevelaer auch erfahren. Ein einfach schlichter Handelsmann, Heinrich Buschmann geheißen, wohnhaft in Geldern, kommt auf seinen Botengängen immer an dem Hagelkreuz vorbei, das da stand, wo jetzt die Gnadenkapelle zu sehen ist. Buschmann hat die Gewohnheit, unter diesem Kreuze jedesmal ein Vater unser zu beten. So auch an einem Tage des Jahres 1835. Während des Betens hört er eine Stimme: „Hier sollst du mir ein Heiligenhäuschen bauen.“ Dreimal hört Buschmann die Aufforderung aus dem Jenseits und beschließt dem geheimnisvollen Befehl nachzukommen. Jeden Pfennig, den er übrig hat, spart er für seine Lebensaufgabe.

Buschmann wandert. Seine brave Frau, die zu Hause schalten und walten muß, bekommt Einquartierung. Es sind Soldaten, die von Luxemburg gekommen sind, um ihren Hauptmann, der in Kempen gefangen ist, zu besuchen. Sie haben zwei Bildchen bei sich, die die Gottesmutter aus Luxemburg zeigen. Eines der Bildchen bieten sie der Frau Buschmann zum Kauf an. Sie kann es jedoch nicht kaufen, es fehlt das Geld.

In der Nacht wird es hell in Buschmanns. Die Gottesmutter erscheint und zeigt eins der Luxemburger Bildchen. Buschmann kommt in einigen Tagen nach Haus und hört von der Erscheinung. Seines Handelns ist er sofort bewußt. Er eilt den Soldaten nach, findet sie in Kempen und verhandelt mit dem Hauptmanne, der auch bereit ist, ein Bildchen herzugeben. Aber welches? Die Gottesmutter entscheidet. Das richtige Bild in der Hand eines Kranken macht diesen gesund.

Buschmann nimmt das Bild an sich. Das Heiligtum wird gebaut. Am 1. Juni 1642 überträgt der Pfarrherr von Kevelaer das Bild von Buschmanns Haus nach der Gnadenkapelle. Ganz Kevelaer folgt in feierlicher Prozession.

Seit dieser Zeit sind viele Wunder geschehen. Allen hat die Gottesmutter geholfen. Ihr Ruhm spricht sich im Lande herum. Immer mehr Gläubige kommen, suchen Hilfe und Trost in schwerer Bedrängnis und unsagbarem Herzeleid. Millionen Menschen haben schon an heiliger Stätte geweilt. Hundert und noch mehr Prozessionen kommen jedes Jahr von Holland und den niederdeutschen Gauen.“

Für alle gilt der sinnreiche Vers:

„Hab auch du Vertrauen,
Oeffne ihr dein Herz,
Auch dir wird sie helfen,
Sag' ihr deinen Schmerz.

Und sie wird dich segnen
Hier vor dem Altar.
Wirst getröstet ziehen
Dann von Kevelaer!“

*) (Edition karmantan.de) - Consolatrix afflictorum = Trösterin der Betrübten


Quelle: Euskirchener Volksblatt vom 24. Juli 1931







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