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Der Kalvarienberg bei Prüm
von Dr. Georg Sprenger, Duisburg-Meiderich





Die Namen von Städten und Dörfern, Bergen und Tälern, Wiesen und Fluren haben zu allen Zeiten durch gelehrte und ungelehrte kluge Leute Umbildungen erfahren, die den ursprünglichen Zustand kaum mehr erkennen ließen. Ganz besonders haben in dieser Hinsicht die Landmesser gesündigt, die die Mundart der Einwohner häufig nicht verstanden und in den amtlichen Karten an Stelle der ihnen unverständlichen Bezeichnungen willkürliche, von ihnen scheinbar verständlich gemachte, setzten. Das interessanteste Beispiel dieser Art für uns Eifeler ist der Wanzenboden auf dem Mosenberg, dessen wahrer Name Windsborn, mundartlich Wandsbohrn, seit einigen Jahren den fast aussichtslosen Kampf gegen seine überall amtlich und gedruckt eingeführte Verballhornung aufgenommen hat. Die Landesaufnahme ist ein Werk des 19. Jahrhunderts. In der früheren Zeit aber waren es besondere religiöse Gründe, die Veränderungen an den alten Namen herbeiführten.

So ist es auch mit dem Kalvarienberg bei Prüm gewesen, der - 569 Meter hoch - sich mit seiner freien Fläche 150 Meter über dem breiten Tal der Prüm erhebt. Das ist so ein richtiger Aussichtsberg, wie sie dem mittelrheinischen Schiefergebirge besonders eigen sind: Nah zu Füßen, zum Teil in steilem Abfall, die Wiesentäler der Prüm und der ihr zuströmenden Bächen, des Tettenbachs und der Mehlen, vor uns das Städtchen; weit über breitgelagerte Höhen hinweg die fernen Berge: Im Nordwesten der lange dunkle Hang der Schneifel, im Osten die vulkanischen Kegel und kuppen hinter Gerolstein und im Süden in besonders reizvollem Umkreis die hochgelagerte Burg Schönecken, von uns aus fast tief gelegen. Dieser einzigartige Aussichtsberg trägt nun seit alten Zeiten im Munde der an ihm wohnenden Menschen den Namen Kallenberg. Wenn wir alte Schriften und Urkunden studieren, so merken wir bald, daß der Name Kalvarienberg erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auftaucht und daß bis dahin allein der Name Kallenberg in verschiedener Schreibweise üblich gewesen ist, genau so, wie er heute noch lebt. Die Form Kahlenberg ist wieder nur die Festlegung einer willkürlichen Deutung des alten einheimischen Namens, die erst in den letzten Jahrzehnten aufgetreten ist. Nur Zugezogene und Bücherleser sprechen den Namen mit gedehntem a und haben den Beiklang des kahlen, unbewaldeten Berges; die Einheimischen in Stadt und Land sprechen nur Kallenberg mit kurzem a-Laut. Einen anderen, viel weiter bekannten Kahlenberg hat der Niederrhein bei Mülheim an der Ruhr. Auch dieser Kahlenberg, der aber mit gedehntem a gesprochen wird, ist kein kahler Berg und nie einer gewesen; denn er hat seinen Namen von den Kohlen, die hier am Südufer der Ruhr, wo das Kohlengebirge an die Oberfläche tritt, schon seit Jahrhunderten im Tagebau gewonnen wurden, ehe der regelrechte Kohlenbergbau begann.

Die älteste schriftliche Festlegung des Namens ist wohl der Wald Calebule, den Abt Albert im Jahre 1136 dem Liebfrauenstift in Prüm schenkte. In den späteren Jahrhunderten ist die gewöhnliche Schreibweise Kallenberg oder Kalleberg. Eine Urkunde von 1461 im Staatsarchiv in Koblenz nennt den Berg „Kallenberg“. Im Prümer Scheffenbuch, das von 1471 bis 1794 im Gebrauch war, windet sich für den Berg nur der Name Kallenberg. Zum Beispiel: 1530 „andern tags nach St. Catharinentag“ verkaufte „Schwartzenbachs Martin, burger zu St. Veit, sambt Treinen seiner haußfrauwen ... ir antheill landt undt gerechtigkeit hinder dem Kallenbergh“. Im Jahre 1577 verkaufte „den 28ten July Müllen Johans Thell und seine haußfrauw Catharina ahn Niclaß Byrthon und seine haußfrauwen Ülen ir dheill wilden rodtlantz hinder dem Kaellenbergh gelegen“. Am 20. Juni 1678 fand nach längerem Streit zwischen den „gemainden Oberprüm undt Niderprüm“ über die Frage „wieweit undt wie kurtz die Niderprümer Gemaindt in dem Oberprümer flor zu waiden berechtiget, undt wobei sie Niderprümer kehren undt wenden sollen“, eine genaue Markensetzung „zu einem ewichen Scheidt“ statt. In der darüber aufgenommenen Urkunde heißt es: „Dauon Schnur richt hieruff langs Dechants wieß uff einen markckstein negts unden am Kallenberg, dauon hienuff oben uff den Kallenberg uff einen marckstein, welcher stehet zwischent der Schantz undt Kallenbergs bäumbgen, von solchem Kallenbergs marckstein an hinab nach Lauderbilenbüsch zu ...“ Diese Beispiele lassen sich beliebig vermehren; sie zeigen, daß der Name Kallenberg, wie er noch heute gesprochen wird, früher auch gesprochen und geschrieben wurde und zwar allein.

In diesem Namen steckt derselbe keltische Wortstamm kal, wie er uns in vielen ähnlichen Bergnamen in den rheinischen Landen entgegentritt und welcher soviel wie hoch, überragend, aussichtsreich bedeutet. So, um nur einige Beispiele zu nennen, im Kelberg in der Hocheifel, der sich noch eine Begriffssteigerung zu Hochkelberg gefallen lassen mußte, in dem Berge Kalemonth bei Wittlich und in dem Hochkelch am Westabhang des Schwarzwalds, dessen wundervolle Aussicht auf das weite Rheintal auf und ab und bis zu den Vogesen zu den schönsten in Deutschland gehört. Alle drei Berge liegen in dem Gebiete, das bis nahe an den Beginn unserer Zeitrechnung jahrhundertelang keltischer Siedlungsboden war. So ist auch unser Kallenberg für die keltischen Vorbewohner unseres Städtchens einfach der hohe Berg gewesen, der breit hingelagert und doch hochaufstrebend machtvoll sich über die Hochebene und die tiefeingeschnittenen Täler erhebt. Sein Name ist zugleich ein Beweis, daß das Dorf Prüm bis in die gallisch-römische Zeit zurückreichen muß. Der gleiche Schluß darf auch aus der Tatsache gezogen werden, daß in dem 721 und 762 je zur Hälfte von den fränkischen Grundherren dem neuen Kloster Prüm geschenkten Dorf nur Hörige wohnten. Denn die später in Prüm ansässigen Familien sind erst aus den unfreien Ministerialen des Klosters hervorgegangen. Der Name Prüm wird übrigens zuerst von dem aus Südfrankreich stammenden gallisch-römischen Dichter Aufonius in seinem Moselgedicht erwähnt. Das war in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Aufonius spricht hier zwar nur von dem Flüßchen. Aber es ist nicht anzunehmen, daß eine fränkische Neusiedlung den keltischen Flußnamen ohne weiteres angenommen hätte; keltische Ortsnamen aber haben die Eroberer bei nicht unterbrochener Besiedlung meistens beibehalten. Wenn auch heute noch gerne gesagt wird, Prüm verdanke sein Entstehen dem Kloster, so ist das also sicher nicht richtig. Aber um so mehr darf man sagen, daß es seine Entwicklung und sein Heranwachsen zur Stadt dem berühmten Gotteshause Sancti Salvatoris verdankt.

Im 18. Jahrhundert nahm Prüm einen lebhaften Aufschwung. Handel und Wandel hoben sich und besonders die Tuchweberei und die Lohgerberei erlebten eine hohe Blüte. Ganz besonders brachten die großen Barockbauten der kunstliebenden Trierer Kurfürsten Arbeit und Verdienst in den Flecken. Von 1721 bis 1730 stieg langsam die neue mächtige Klosterkirche empor, die heute noch als ein Wahrzeichen von Stadt und Land vor uns steht. Von 1749 bis 1756 und von 1760 bis 1765 baute man an dem Neubau des Klosters, dessen Nordflügel eines der schönsten Werke des fränkisch-rheinischen Barocks enthält.

Aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt ein Stich von Prüm (ce paradis terrestre Prüm wird es genannt!), der das Kloster in der Form des Georg Seitzschen Planes von etwa 1735 und das 1768 abgebrannte und nicht wieder aufgebaute Spital neben der Stiftskirche abbildet. Dieser Stich (vgl. die Abbildung) zeigt uns die Kapelle des heiligen Wendelinus, des Patrons der Landwirte und des Viehs, oben am Eingang in „die alte hüll“, den Stationenweg und die Kapelle auf dem Kalvarienberg, der seitdem diesen seinen neuen Namen trug. Das St. Wendelshäuschen - so wird es übrigens schon in einer gerichtlichen Verhandlung von 1769 genannt - steht auf dem Ordeler, dem langgestrecken flachen südl. Ausläufer des Kallenbergs. Es stand früher an anderer Stelle und zwar auf der anderen Seite der Straße, wo jetzt das Konvikt steht und ist hier vermutlich schon in der Mitte des 16. Jahrh. gebaut worden. Im 18. Jahrh. wurde es an die jetzige Stelle südlich von der Straße verlegt, die früh den Namen „auf dem Toten Krieger“ trug u. ein Mauengrab aus dem angeblich „spanischen“ Kämpfen darstellen soll. Diese alte

Prümer Erinnerung wird wohl auf die fruchtbaren Drangsale der spanisch-niederl. Kämpfe des 16. Jahrhunderts zurückgehen, von denen uns die Klosterchronisten berichten. Ein St. Wendelstor hat es übrigens in Prüm niemals gegeben; auch ist der Name „St. Wendelsgasse“ für „die alte hüll“ - so heißt sie jahrhundertelang in allen Urkunden und heute immer noch - nur kurze Zeit nach der Wiederherstellung des Kapellchens 1832 in Gebrauch gewesen und hat sich nicht einbürgern können. Das nächste Tor von Prüm war die Steufenpforte, die jahrhundertelang unten in der Hüll zwischen der Enggasse und dem neuen Markt ihren Platz hatte und vermutlich in den Bränden des ausgehenden 17. Jahrhunderts verschwunden ist. Wenn heute ein fröhlicher Dichter den guten Bruder Wandalbert mit seinen Maikräutern anno 854 unter dem Geläut des Glöckleins vom Kalvarienberg durch St. Wendels Tor in Bertradas Stadt, vom Mauerring umschlossen, einpassieren läßt, dann darf man nicht vergessen, daß es sich um Erzeugnisse einer beflügelten dichterischen Phantasie handelt.





Altes Bild von Prüm aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.





Nur noch wenige Jahrzehnte nach der Entstehung der Kapelle auf dem Berge dauerte die alte Zeit, die tausendjährige Zeit der kirchlichen Landeshoheit. Als sie zu Ende ging, hatte der neue Name des Berges noch keine allgemeine Geltung gefunden. Die Franzosen, die im Herbst 1794 erschienen, beschlagnahmten alles kirchliche Eigentum als Volksgut und wie die Stiftskirche im Orte, so wären auch die beiden Kapellen auf dem Berge dem Untergang geweiht gewesen, wenn nicht glückliche Umstände den Abbruch bis zu einer günstigeren Zeit verzögert hätten. Am 15. Oktober 1803 ließ der Präfekt des Saardepartements zugleich mit dem St. Wendelhäuschen die Kalvarienbergkapelle mit Zubehör, nämlich „eine Einsiedelei, bestehend aus einem Häuschen, einer Kapelle und einem Garten“ versteigern, und sie wurde dem meistbietenden Gürtler Jakob Goldschmidt aus Prüm für 700 frcs = 186 Taler zugeschlagen. Die Kapelle verfiel nun langsam und in der Prümer Bürgerschaft herrschte darüber allgemeines Bedauern. Anfangs der 1820er Jahre beschloß sogar die Stadt, die Kapelle mit ihrer Umgebung anzukaufen, um sie zu erhalten. Doch die vorgesetzte Behörde versagte ihre Genehmigung. Als aber dann Ende der 1820er Jahre Goldschmidt sie dem Ackerer Adam Ganser in Niederprüm verkaufte und dieser sie nun auf Abbruch weiter verkaufen wollte, gingen endlich einige hochherzige und fromme Bürger zur Tat über.

Damit beginnt eine denkwürdige und für die konfessionelle Verträglichkeit jener Zeit, in der sich katholische und protestantische Geistliche bei kirchlichen Handhabungen gegenseitig vertraten, kennzeichnende Episode. Zwei königl. Beamte, der kath. Staatsprokurat. Moritz, derselbe, der 1810 die Sandalen von Frankfurt a. M. nach Prüm zurückbrachte, und der evangelische Hypothekenbewahrer Walther, dessen Nachkommen erst zu Anfang dieses Jahrhunderts in Prüm ausstarben, erstanden gemeinsam am 30. Aug. 1832 für 300 Taler die Kapelle und boten im Okt. jedem, der es wünschte, Anteil an der Erwerbung zu einer beliebigen Summe. Fast alle vermögenden Bürger der Stadt leisteten freudig der Aufforderung Folge; nur zwei schlossen sich aus. Außerdem aber drängte sich eine große Zahl selbst ganz armer Leute zur Beteiligung. Es wurden Beiträge von 15 Talern bis hinab zu 10 Silbergroschen gezeichnet und das ganze Ergebnis der nur zwei Tage währenden Sammlung übertraf die Kaufsumme noch um 50 Taler 5 Silbergroschen, so daß auch die Kosten für die Wiederherstellung der Kapelle und des mit ihr unter einem Dach befindlichen Häuschens mehr als gedeckt waren. 139 Genossenschaftler fanden sich, eine überaus hohe Zahl für das damals etwa 1800 Einwohner zählende Städtchen, und wir finden unter ihnen eine hohe Zahl der seit der Einverleibung in Prüm eingewanderten Protestanten. Zu ihnen gehörten u. a. der Landrat Georg Bärsch, der Major von Klenke, Kommandeur des in Prüm liegenden Landwerhrbataillonstammes III/L. J. R. 30, mehrere andere Offiziere, der Vater des in den neunziger Jahren gestorbenen Prümer Arztes Sanitätsrat Dr. König, der Gerichtsvollzieher Hasenbach, Herr Tekloot, der obengenannte Hypothekenbewahrer Walther und auch der evangelische Pfarrer Wilhelm Schmidt. Außer den Teilhabern aber boten eine ganze Reihe Bürger freiwillige Dienste an und gaben kleinere Beträge als Geschenk. Solcher „Schenker“ sind in der Urkunde 58 aufgeführt. Man kann nur mit Rührung die in der Kapelle gerahmt aufgehängte Urkunde studieren und fragt sich unwillkürlich: Ob heute noch ein solches Condominium, erwachsen aus gemeinsamem Gefühl religiöser Ehrfurcht, möglich wäre? Die „Bedingungen“, unter denen der Verein zusammengetreten war, bestimmten, daß das gemeinschaftliche Privateigentum stets seiner religiösen Bestimmung erhalten bleiben solle, bei Verfall oder Abbruch aber ein die Zuschüsse der Teilhaber etwa übersteigender Betrag der Katholischen Pfarrkirche zufallen solle. Keiner der Teilhaber hatte ein Recht auf Rückgabe seines Anteils in Natur oder Wert.

Bis Johanni 1833 führten die beiden Ankäufer die Verwaltung und in erster Linie sorgten sie für die Wiederherstellung des Äußern und Innern beider Kapellen, des Ölbergs und des Stationswegs. Von der Einrichtung der Kalvarienberg-Kapelle stammt übrigens einiges aus der untergegangenen Stiftskirche im Ort, in erster Linie die Chorstühle. Über dem Eingang der wiederhergestellten St. Wendelskapelle steht heute noch die Jahreszahl 1832 und damals versuchte man auch, für die alte Hüll den Namen St. Wendelsgasse einzuführen. Aber dies gelang nicht; kaum 10 Jahre finden wir den Namen gedruckt und geschrieben. Späte wurden alle drei Jahre von den zwölf Teilhabern mit den höchsten Anteilen zwei Verwalter neugewählt.

Etwa 30 Jahre lang haben dann die 139 die Stätte der frommen Wallfahrt erhalten und erst anfangs der 1860er Jahre entschloß man sich, da die Verwaltung bei so vielen Teilhabern, an deren Stelle vielfach schon Erben getreten waren, mehr und mehr Schwierigkeiten machte und weil kirchenbehördliche Vorschriften private Kapelle nicht mehr zuließen, die beiden Kapellen der katholischen Pfarrgemeinde zu übertragen. Am 14. November 1861 erklärten 81 der Teilhaber oder ihre Vertreter und Erben ihr Einverständnis mit der Schenkung. Zu diesen gehörte auch noch der betagte, inzwischen aus dem Amt geschiedene Hypothekenbewahrer Walther. Moriz Koch und Hugo Pflaum schlossen als Beauftragte den Schenkungsvertrag mit dem Kirchenvorstande, dessen Vertreter außer Pastor Christa die Herren Konrad Koch, Nikolaus Becker, Eduard Nels und Roth waren. Bei der Vollziehung des Vertrages vor dem Notar Ganser am 24. Oktober 1866 wurde der Wert des Geschenkes auf 500 Taler geschätzt.

Karfreitags zieht in jedem Jahr das gläubige Volk in feierlicher Prozession von der alten Abteikirche hinauf zur Kapelle auf dem Berge, um des Leidens und des Sterbens des Heilandes zu gedenken. Möge nicht noch einmal rohe Gewalt versuchen, die ehrwürdige Stätte zu vernichten, und wenn es sein sollte, sich ein ebensolcher schöner Bund zusammenfinden wie vor 100 Jahren, um sie zu schützen und zur Freude der Frommen zu erhalten!





Aus: Eifelvereinsblatt, 27. Jahrgang 1924, Nr. 11, November 1926, Seite 146-148, Selbstverlag des Eifelvereins, Schriftleitung Rektor Zender in Bonn, Münsterschule, Eifelvereinsarchiv Düren





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