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Bottenbroich - Ein Wallfahrtsort wird umgesiedelt




Technik - des Menschen Segen und des Menschen Fluch


Das alte Kirchlein eines der ersten Opfer

Bottenbroich - Sommer 1949

In der fast vollständig ausgeräumten Kirche arbeitet ein Mann. Der Aachener Maler Stiewi ist dabei, fünf Kreuzwegstationen, künstlerisch wertvolle Fresken eines unbekannten Meisters um 1530, von der Wand abzulösen. Die Not der Nachkriegszeit hat ihn dazu geführt, eine Methode zu entwickeln, mit der er Fresken alter Meister rettet, die in beschädigten oder teilzerstörten kirchen und öffentlichen Gebäuden den Witterungseinflüssen und damit der Vernichtung ausgesetzt sind. Bottenbroich macht eine Ausnahme. Diese Kirche ist vom Krieg nicht sonderlich mitgenommen worden, aber die Notwendigkeit, Kohlenvorräte, wo sie nur immer sind, auszubeuten und abzubauen, wird sie mit dem ganzen Dorf vernichten. Landeskonservator Graf Metternich hat Stiewi gerufen, der Gemeinderat hat nach langem Hin und Her - wenn's Geld kostet, wird immer lange debattiert - sein Jawort dazu gegeben und nun ist Stiewi umsichtig und gewissenhaft dabei, diese selten schönen Zeugen der gotischen Malerei der Nachwelt zu erhalten. Er präpariert seine Leinwand, klebt sie auf die über einen Quadratmeter großen Fresken auf, löst behutsam den Wandputz und legt die abgelösten Rollen beiseite. Eile ist geboten, denn draußen rattern und mahlen die Bagger, deren Schaufeln sich im regelmäßigen Rhythmus heraufheben und zubeißen. Als er nach einer Woche intensiver Arbeit die letze Rolle nach draußen trägt, holt ein Abreißkommando noch einige Holzteile aus der Kirche, Stunden später stürzen Teile des Dachstuhls ein, das Vernichtungswerk nimmt seinen Fortgang.

Stiewi überträgt die Fresken auf Hartfaserplatten, löst die Leinwand wieder ab, und die Bottenbroicher und Grefrather sind erstaunt und glücklich, die Bilder der alten Wallfahrtskirche, bis auf die kleinste Einzelheit der Patina echt, in der neuerbauten Pfarrkirche in Grefrath, zur Verehrung Gottes wieder aufhängen zu können. -

Bottenbroich - Januar 1950

Tag und Nacht dröhnt und kreischt und zischt es in den Ohren der Bottenbroicher. „Wir können nicht mehr schlafen, die Bagger machen einen verrückt“, sagen sie uns. Die Bagger sind es nicht allein, die Lokomotiven und Loren, die die fortgeschaufelte Erde, auf der das Dorf seit Jahrhunderten stand, forttransportieren, um an die darunterliegende Braunkohle zu kommen, machen ihren Lärm. Mit jedem Signalpfiff peitschen sie auf die Bewohner los: Fort hier, wir kommen, ihr habt hier nichts mehr zu suchen, wir schaufeln, schaufeln - - -

Der südöstliche Dorfrand mit Schule, Kirche und Friedhof ist längst verschwunden, mitten ins Dorf fressen sich jetzt die riesigen Greifer hinein. Bittere Klagen hören wir, vor allem die alten Leute sind untröstlich. Haus und Hof zu verlieren. Alle müssen weg, alle müssen neu anfangen, und nicht immer erscheint ihnen der Grund ausreichend. Braunkohle soll gefördert werden. Fünf Millionen cbm Braunkohle lagern unter Bottenbroich, die aus volkswirtschaftlichen Gründen unbedingt abgebaut werden müssen. Auch wenn man das Dorf selbst schonen würde, bliebe es bei dem Vorstoß in die dahintergelegenen Kohlenflöze als kleine Insel stehen und würde seiner Felder, Wiesen und Zufahrtswege beraubt, in unmögliche Lebensverhältnisse kommen.

Das Damoklesschwert der Umsiedlung hängt schon seit 13 Jahren über dem Dorf, der Krieg hat den Bewohnern - so grotesk es klingt - die Galgenfrist im alten Ort verlängert. Der Aufbau von Neu-Bottenbroich, zwei Kilometer entfernt jenseits der Straße Frechen - Köln, hat während dieser Zeit geruht. Nach der Währungsreform ging man mit Hochdruck an den Weiterbau heran und konnte bisher stark die Hälfte der Einwohner von Bottenbroich nach Neu-Bottenbroich umsiedeln.

In einer Stellungnahme der Braunkohlengesellschaft heißt es: „Durch die Verzögerung (im Aufbau des neuen Dorfes) war man aus betriebstechnischen Gründen gezwungen, die Kohle bis an Bottenbroich heran und um das Dorf herum abzubauen, so daß die Bagger bis dicht an die bewohnten Häuser in Betrieb gesetzt werden mußten. Aber es wird niemand auf die Straße gesetzt werden und es wird auch niemand von den Baggern vertrieben, bevor seine Rechte nicht vertraglich geregelt sind, und er eine neue Unterkunft hat.

Neu-Bottenbroich ein „Villenvorort“

Wir sahen uns die neuen Unterkünfte an. Sie sind schlechterdings mustergültig. Neu-Bottenbroich macht mit seinen mustergültigen Straßen und schmucken Häusern den Eindruck eines Villenvororts, die Dorfschule ist schöner als je zuvor. Eine moderne, künstlerische Pfarrkirche wurde in Grefrath gebaut, unter dem Kirchenschiff sind Versammlungsräume. Jahrhunderte lang sind die Grefrather in die alte Pfarrkirche nach Bottenbroich zur Kirche gegangen. Den Neu-Bottenbroichern gefällt die neue Kirche aber anscheinend nicht, den sie wollen auch in ihrem Ort noch eine Kirche haben. Die Braunkohlengesellschaft wird ihnen zuliebe noch eine Kapelle bauen. Aeußerlich werden die zur Umsiedlung gezwungenen also keineswegs geschädigt.


Ein gerettetes Fresko der Bottenbroicher Kirche

Aber der Fall Bottenbroich rührt doch noch an grundsätzliche Dinge. Man kann eine schöne und moderne Siedlung bauen, man kann alle Rechtsfragen fair und zum Wohle der Beteiligten verhandeln, den Menschen aus der Verstrickung der Technik lösen, die gleichzeitig Segen und Fluch für ihn ist, dies vermag niemand. Die zuständigen Regierungsstellen bemühen sich, so auch im Landtag von Nordrhein-Westfalen ein Braunkohlengesetz durchzubringen, in dem ein Braunkohlenausschuß gefordert wird, der frühzeitig Einblick in die Betriebspläne der Braunkohlengesellschaften nehmen und alle Faktoren in der Gesamtplanung koordinieren kann. So krasse Fälle wie Bottenbroich, wo Neubau, Räumen oder Wohnungen und Abbau der Kohle um die noch bewohnten Häuser herum Hals über Kopf geht, sollen dadurch in Zukunft vermieden werden.


Das Dorf wird Halbinsel - Foto: Schmitz-Franke (2)

Noch mehr Dörfer werden verschwinden, noch mehr Menschen werden ihre angestammten Wohnsitze verlassen müssen. Menschen, die selber die Kohle abbauen, werden verjagt. Kohlenförderung schafft Arbeit und Brot, Kohlenförderung frißt Land und Hof und Flur. Nur noch das Muttergottesbild, einst Gegenstand gläubiger Verehrung, und die von Stiwie geretteten Kreuzwegstationen werden in Zukunft an das alte Bottenbroich erinnern.

-emü-


Aus: Kölnische Rundschau Nr. 31 vom 7. Februar 1950







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