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Götter und Kultstätten
Von Hermann Hinz





Aus: Archäologische Funde und Denkmäler des Rheinlandes, Band 2, Kreis Bergheim, S.87 - 91





Es ist eine bezeichnende Eigenart des römischen Imperiums, daß es die vorhandenen heimischen Kulte weiterbestehen ließ. So wurde neben den offiziellen Staatsgöttern und dem Kaiserhaus in unserem ländlichen Bezirk eine große Zahl nichtrömischer Gottheiten verehrt. Wenn ein Thorrer Altar (Taf. 65, 3) dem Mercur geweiht ist, braucht darunter nicht der römische Gott verstanden zu werden, sondern es verbirgt sich in ihm ein einheimischer Gott in römischer Deutung, eine häufig zu belegende Sitte. Von der einheimischen Denkmälergattung der Juppitersäulen stammt das Bruchstück einer Schuppensäule aus Bedburg (22). Auf diesem freistehenden, geschuppten Schaft, der auf einem Sockel ruhte, befand sich einst die Skulptur des Gottes, von der hier allerdings nichts erhalten ist.

Einige Schwierigkeit bereitet dagegen die Deutung des Blatzheimer Reliquavahanus (Taf. 65, 2). S. Gutenbrunner hat sich zuletzt dahin gehend ausgesprochen, daß eher an eine Ableitung von einem germanischen als von einem lateinischen Wort zu denken sei 254). Dann wäre eine Verbindung des Gottes mit dem Feuer, der Wärme oder dem Fieber möglich.

Eine größere Anzahl religiöser Denkmäler bezeugt den Matronenkult. Die drei Mütter sind sicher einheimische Göttinnen, deren Verehrung hier sowohl den vorubischen Stämmen als auch den Ubiern zugeschrieben werden kann. Eine Überprüfung der Namen auf ihre sprachliche Herkunft durch S. Gutenbrunner ergab für unser Gebiet überwiegend germanische Wurzeln neben einer sicher keltischen Nennung sowie einige Namen, deren Ableitung aus beiden Sprachen möglich ist. Die Matronen sind nach der Überlieferung, den ihnen auf den Steinen beigegebenen Attributen und den Opfergabenabbildungen als Fruchtbarkeitsgöttinnen und Segenspenderinnen aufzufassen, deren Verehrung auf dem Lande aus natürlichen Gründen sehr beliebt war. Die Denkmäler verteilen sich über den ganzen Kreis. Außer den sicheren Fundorten Thorr (23), Lipp (10) und Morken (7) sind noch zerstörte oder verschollene Steine aus Hüchelhoven-Rheidt, Glesch (a) und Blatzheim-Emmerich (9) zu erwähnen, während die Deutung des Steines vom Hahner Kreuz (Pütz 10) als Matronenstein sehr unsicher ist (vgl. S. 152). Außerdem ist zu erwägen, ob nicht einige der Rödinger Matronensteine vom dortigen fränkischen Friedhof am Hundsbüchel (Kr. Jülich) aus Oberembter Fundstellen wie Nr. 16 am „Kreuzacker", stammen (S. 90). Bei der Kartierung der Fundorte im rheinischen Raum schien es Gutenbrunner, als ob sich die Matronendenkmäler in gewissen Räumen ballten und sich so Fundlandschaften erkennen ließen, die vielleicht mit Siedlungsbildern in Zusammenhang ständen. Unsere Matronensteine gehören seiner Gruppe III im Jülicher Lande an. Vielleicht darf man aber dieser Aufteilung noch nicht zu großen Wert beimessen, denn es scheint uns, daß jederzeit durch Neufunde die Lücken zwischen den Gruppen II, III und IV geschlossen werden können. Die Funde von Morken und die verschollenen Steine von Rheidt (10) und Blatzheim (9) weisen schon in diese Richtung. Deutlicher wird jedoch eine Gruppenbildung, wenn Gutenbrunner die Namen nach bestimmten sprachlichen Eigenarten zusammenstellt. Unsere Namen schließen sich dann einem nördlichen Vorkommen innerhalb des Rheinlandes an.





Noch auffälliger wird eine derartige Sonderung, wenn man nicht relativ weitverbreitete sprachliche Gewohnheiten, sondern die Namen der Matronen selbst kartiert. So kommen die Matronae Vatviae in der speziell germanischen Form Vatvims oder als Vatviabus, von Gästen bis zu einem fraglichen Fundort in Mönchengladbach vor (Abb. 16). Wenn man Rödinger Steine mit einbezieht, liegt der Schwerpunkt im nördlichen Kreis Bergheim, wo sicher 6 von 11, vielleicht sogar 9 von 11 Steinen gefunden wurden. Auch andere Namen haben innerhalb der Verbreitung eine ähnliche Tendenz: Stellt man die vereinzelten Thorrer Gavasiae (Taf. 65, 4. 5), wie es häufig geschieht, mit dem Gavadiae zusammen, so kommen dazu die Fundstellen Rödingen und Bettenhoven (Kr. Jülich) und wieder Mönchengladbach. Der Beiname der Morkener Vatviae Berhliahenis kehrt in Gereonsweiler (Krs. Jülich) selbständig wieder 255).

Die Thorrer Udravarinehai (Taf. 65, 1. 6) kommen noch in Köln vor 256), während die anderen Thorrer Matronennamen noch von keiner zweiten Stelle bekannt geworden sind. Die nach Abschluß der Landesaufnahme in der Erft südlich von Morken entdeckten Steine der Matronae Austriahenae zeigen, daß am gleichen Ort neben den Vatviae noch andere Matronen verehrt wurden, die aber bisher an keiner anderen Stelle gefunden worden sind. Es gibt sich so auf der Karte eine deutliche Verdichtung von Matronennamen in etwa dem gleichen Raum zu erkennen. Dies entspricht durchaus der Vorstellung, daß die Matronenkulte im wesentlichen örtlichen Charakter hatten, während darüber hinaus nur wenige weiter verbreitet waren.

Wenn allerdings verschiedene Matronennamen den gleichen Verbreitungsraum einnehmen, so könnte sich dadurch auch ein einheitliches kleines Kultgebiet abheben, und hier wäre dann weiter zu fragen, ob sich dieser Raum nicht vielleicht auch auf anderen Sektoren, etwa dem der Siedlungen abzeichnet. Da diese „Jülicher" Gruppe der Matronen überwiegend germanische Sprachgewohnheiten aufweist, bestehen wohl keine Bedenken, die Denkmäler denjenigen Germanen zuzuweisen, die hier wahrscheinlich siedelten, nämlich den Ubiern, ohne daß indes jeder Stein nun von einem Ubier zu stammen braucht, was bei dem gemischten Siedlungsbild ja auch nicht wahrscheinlich ist. H. Schmitz scheint allerdings den ubischen Anteil wiederum zu gering einzuschätzen 257). Da er davon ausgeht, daß die Ubier dicht am Rheine gesiedelt hätten, wo die Steine etwas spärlich sind, haben seine Gründe aber nicht derartiges Gewicht, denn diese Annahme ist nicht erwiesen. Vielmehr kann man sich vorstellen, daß gerade in der Grenzzone zunächst militärische Territorien lagen, hinter denen dann erst die Civitas der Ubier auf dem flachen Land begann. Die Matronen scheinen in der Volksüberlieferung und am Rande des christlichen Kultus noch bis in die Neuzeit weiter gewirkt zu haben, wenngleich die Verehrung der „Mütter" eine so allgemeine Erscheinung ist, daß auch aus anderen Quellen etwas hinzugeflossen sein kann 258). So zählt man die drei Fidel: Spes, Caritas und Fides oder Einbet, Wilbet und Worbet - wie sie auch in Frauweiler genannt wurden - zu den Erinnerungen an die römische Zeit. In Frauweiler wäre aber auch eine Übertragung durch das dort gegründete Nonnenkloster möglich 259). Als zweites Vorkommen der Fides wird noch Kirchherten angegeben.





Abb. 16. Verbreitung der Matronensteine im Erftgebiet. Die Ziffer gibt die Zahl der Steine an. - M. 1:300000.





Eine spätere Übertragung ist dagegen sicher nicht bei den Sagen um die „Juffern" zu erwarten, die an vielen Stellen des Kreises bekannt sind. Sie werden in der Regel als harmlose oder freundliche Wesen geschildert. Von besonderer Bedeutung scheinen die drei weißen Juffern zu sein, welche am „Glockenputz", dem ehemaligen Quellgrund an der Trümmerstelle 16 zwischen Oberembt und Rödingen, ihr Wesen trieben 260). Der Quellgrund ist außerdem der Ort einer altertümlichen Glockensage, so daß H. Schläger wohl mit Recht schließt, daß sich diese Sagen hier am „Kreuzacker" um eine ehemalige Kultstätte ranken. Zum Rödinger „Hundsbüchel“ (Kr. Jülich), dem Frankenfriedhof mit den Matronensteinen, beträgt die Entfernung auf der wahrscheinlich römischen 'Hochstraße' nur 500 m; Bettenhoven liegt nur halb so weit entfernt, so daß die von H. Schläger erwogene Möglichkeit, die an beiden Orten gefundenen Matronensteine nach Oberembt zu lokalisieren, Beachtung verdient. Drei weiße Juffern werden noch aus dem 'Tiergarten' nördlich Kaster erwähnt und auf die verlassene Anlage 14 bezogen. Sie lassen sich wahrscheinlich mit der Sage von den drei Töchtern des Ritters Chlotar verbinden, der in dieser Gegend gewohnt haben soll 261). Ein unmittelbarer Zusammenhang mit Funden von Matronensteinen ist hier bisher aber nicht gegeben, wenn auch zwei römische Trümmerstellen angrenzen.

Die „Juffern" treten nicht nur zu dreien, sondern auch alleine oder zu zweit auf. Zwei schwarze Juffern sollen sich bei Glesch an der „Knodscheburg" gezeigt haben, während eine andere Überlieferung von zwei schwarzen Schloßherren und einer Juffer spricht. Hier könnte ein Zusammenhang mit dem Glescher Stein bestehen. Im Raume Thorr sah man eine weiße Frau an der Motte Kenten in der Niederung zwischen Thorr und Kenten, wie die Erftniederung überhaupt vielfach der Sitz von Bendenjuffern und grünen Juffern ist 262).

In Morken sind Juffersagen nicht bekannt geworden, doch erwähnt Kaplan Urchs in seiner handgeschriebenen Pfarrchronik verschiedene sagenhafte Stellen südlich von Morken: „Am Glockenputz" und „Am Pesch". Außerdem wendet er sich gegen die „landläufige“ Meinung, daß an der alten Kirche ein heidnischer Tempel gelegen hätte. Die fünf Matronensteine, zu denen noch ein weiterer, auf der Schriftseite völlig abgewetzter Stein zu stellen sein wird, der aus den Trümmern der Kirche herausgeholt wurde, scheinen aber doch in der Gegend ein kleines Matronenheiligtum anzuzeigen 263). Ein solches Heiligtum ist nun jüngst durch die beim Abbau der Braunkohle im ehemaligen Erftbett südlich des Kirchhügels von Morken zum Vorschein gekommene Furt bestätigt worden. Man hatte sie mit Trümmern aus einem Matronenheiligtum befestigt (Fdst. 21) 264). Im Schlamm lagen Wagenladungen von beschädigten Weihesteinen und Reste der Architektur des Tempels. Dieser wird sicher auf dem hohen Ufer gestanden haben, konnte bisher aber noch nicht lokalisiert werden. Die Steine waren den bisher unbekannten Matronae Austriahenae geweiht.





Eine größere Tempelanlage wurde in Pesch im Kreise Schleiden ausgegraben. Die einheimische Bauform für den Matronentempel ist eine quadratische Cella mit auf Säulengestütztem Umgang. Eine derartige Anlage mag einen fast turmartigen Eindruck hinterlassen haben, so daß Gutenbrunners Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen dem Namen Thorr-turre und einem „turris" eines dortigen Matronentempels nicht so abwegig erscheint 265). Somit kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit bisher an drei Stellen, nämlich in Morken, Thorr und bei Oberembt 16, ein Matronenheiligtum annehmen, ohne daß damit wohl die Zahl der ehemals wirklich vorhandenen Tempel erfaßt ist.


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