Karmantan.de
Die Bildersprache der Matronensteine
- Quelle von Wissen und Weisheit -

Eine Betrachtung von Gudrun Nositschka







Dank ihrer Darstellung in Stein – erste Nachweise ab 70 u. Z., dann mehr als 800 (acht- hundert) ab 161 u. Z. wissen wir, dass keltische, germanische sowie römische Menschen zwischen Nord-Eifel und Rhein bis ca. 450 u. Z. eine Frauendreiheit an besonderen Plätzen und in Tempeln verehrte, die uns nur mit der römischen Bezeichnung matronae überliefert worden ist und deren Wurzeln wahrscheinlich im Alten Europa zu suchen sind.


Abb. 1 - Aufanische Matronen im Matronenheiligtum Nettersheim/Eifel, Replik.

Das Bild der Matronen

Die Matronen der Weihesteine zwischen Eifel und Rhein präsentieren sich fast immer als Dreiheit (Abb. 1). Zwei ältere Matronen mit auffallenden Hauben – wie sie die verheirateten und verwitweten Ubierinnen in und um Köln als Festtagstracht getragen haben – sitzen links und rechts von einer jüngeren Matrone, die sich nur dadurch von den älteren unterscheidet, dass sie ihr schulterlanges Haar offen trägt und manchmal ein Fußschemelchen benötigt, um ebenso würdevoll wie ihre beiden Begleiterinnen zu wirken. Die Schöße der drei Frauen sind durch Korbschalen mit Früchten wie Birnen, Äpfel und Granatäpfel betont. Als Halsschmuck tragen die drei Frauen oft sichelförmige Anhänger, deren Form an den zunehmenden Mond erinnert. Die Seiten der Weihesteine bieten eine Fülle von pflanzlichen und tierischen Symbolen, unter anderem Bäume, Schlange, Eule, Raute, Füllhorn mit Birnen, Granatäpfeln und Pinienzapfen sowie den Kranich am Fuß des Füllhorns. (Abb. 2)


Abb. 2 - Füllhorn mit Granatäpfel, Birnen und Pinienzapfen, sowie Kranich, Aufnahme in Nettersheim 2003.

Bedeutung der Dreiheit

Einiges spricht dafür, dass die Anordnung der Matronen sowie ihre Attribute Erkenntnisse der damaligen Bevölkerung um das zyklische Geschehen der Natur, des Lebens und des Universums sowie der Frauen vermitteln. (Siehe unten unter Wissen und Weisheit der Bildersprache der Matronensteine.) Bei den Kelten stand die Dreiheit für wichtiges, einzuprägendes Wissen in einem Zyklus von Anfang, Mitte und Ende. „Durch die Drei lassen sich augenscheinliche Gegensätze gleitend verbinden wie a. Hell - Zwielicht - Dunkel b. Heiß - lau - kalt c. Jugend - Reife - Alter“ 1.

Die Keltische Dreiheit und die römischen matres

Wie später die christliche Religion kannte die keltische Bevölkerung die Dreiheit in der Einheit und die Einheit in der Dreiheit. Bedeutende Göttinnen wie Brigit bzw. Brigida und Rigani verkörperten im Keltentum die Dreiheit in der Einheit. Für die Einheit in der Dreiheit stehen die Matronen. Die Kelten sahen in den Göttinnen, sogar in den Kriegsgöttinnen, Vertreterinnen des weiblichen und des mütterlichen Prinzips. Die Mütter garantierten den unzerstörbaren Kreislauf. Entsprechend waren alle Göttinnen „Muttergöttinnen“. „Bei den Kelten vermischten sich religiöse Vorstellungen der großen, steinzeitlichen Mutter der frühen Ackerbauern mit indoeuropäischen Muttergöttinnen zu einem typisch keltischen mehr-strangigen Kult, in dem Mütter verschiedener Prägungen und Betonungen nebeneinander Platz finden. Göttinnen, die das mütterliche Prinzip in der Natur, dem Land und Territorium, in Mensch, Tier und Pflanze, den Gestirnen und Elementen verkörperten, sprachen alle Stände und Gruppierungen an“ 2.

Auch die indoeuropäischen Römerinnen und Römer verehrten Muttergöttinnen, die sie matres nannten. Das lateinische mater bedeutet Mutter, Schöpferin der Natur und aller Dinge sowie Urheberin, Quelle, Ursprung, Wurzel und Grund. Auch der lateinische Begriff materia geht auf mater zurück und heißt unter anderem Urstoff, der etwas hervorbringt. Obgleich die Ursprungsvollmacht der römischen Göttinnen von männlichen römischen Göttern beansprucht wurde, haben die Römer weiterhin Muttergöttinnen verehrt.

Was aber sahen die römischen Eroberer in der keltischen weiblichen Dreiheit?

Die Forscherin Sophie Lange schreibt: „... [Zu den] von den Römern (in der Eifel) übernommenen Gottheiten gehören die Dreiergöttinnen. Da die Römer nichts Synonymes für diese göttlichen Frauen bieten konnten, übernahmen sie diese unverändert und bezeichneten sie als Matronen ...“ 3.

Matronen und Göttinnen

Die Inschriften auf den Matronensteinen der Eifel, in Bonn, Köln und am Niederrhein geben uns einige Hinweise. Dort heißt die weibliche Dreiheit aber nicht matres = Mutter(Göttinnen), sondern matronae und dea im Singular, seltener deae im Plural, also Matronen und Göttin bzw. Göttinnen. Nur auf einem Stein steht matris neben matronibus und deabus.

Es ist nicht überliefert, wie die einheimische Bevölkerung ihre weibliche Trinität, die sie an Quellen und Mooren, auf Hügeln und in Höhlen sowie in Bäumen und ihnen zugeordneten Tieren verehrte, genannt hat. Wären sie mit Eigennamen oder als Mütter angerufen worden, spräche viel dafür, dass die römischen Besatzer diese Namen übernommen oder ihnen den entsprechenden römischen Namen gegeben hätten, wie es mit anderen fremden Gottheiten in der Regel geschehen war.

Doch matronae und dea/deae sind keine Eigennamen. Nur dea/deae ohne Ergänzung mit den Eigennamen der betreffenden Göttinnen ist ungewöhnlich.

Meine Hypothese geht dahin, dass wir es dabei mit einem späten römischen Sammelbegriff für unspezifizierte weibliche Trinitäten der vorrömischen Zeit zu tun haben, als männliche göttliche Dreiheiten auf der Apeninnenhalbinsel noch unbekannt waren. Das Wort dea für Göttin in Ableitung von deus für Gott wurde erst im klassischen Altertum gebildet, verbunden mit der Spezifizierung der Gottheiten auf bestimmte Lebensbereiche, für die sie um Hilfe angerufen wurden.

Die Bezeichnung matronae ist wie dea/deae ein Sammelbegriff. Matronae heißt unter anderem Frauen von Stand, Familienmütter, ehrbare Ehefrauen, vornehme Damen, Herrinnen und Gebieterinnen. Im Zusammenhang mit der Bezeichnung dea/deae wurde die Bezeichnung matronae „römischen Göttinnen als Beiname gegeben oder als Anrede verwendet“ 4.

Juno: Eine Frauendreiheit?

Aber nur eine Göttin wird namentlich genannt: Juno. Warum sah die römische Besatzungs-macht der Eifelregion in Juno eine Verbindung zur keltischen Frauendreiheit? Juno passt so gar nicht ins Bild!

Zuerst fällt auf, dass Juno in Caesars „Interpretatio Romana“ (6. Buch „De Bello Gallico“) fehlt. Dort führte er lediglich Merkur, Apollo, Mars, Jupiter und Minerva an. Der Begriff der „Interpretatio Romana“ wurde für die römische Aneignung und Erläuterung fremder Gottheiten geprägt. Dieses Verfahren stand im offenen Widerspruch zur keltischen Sicht der Dinge, die kein allgemein gültiges Pantheon mit Göttern und deren klar abgegrenzte Funktionen kannte. „Bei allem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das indogermanische, keltische, druidische Gedankengut schon immer im Austausch mit vorindoeuropäischem gestanden hatte. Das Volk [...] hielt an neolithischen, kupfer-, frühbronzezeitlichen Fruchtbarkeitsvorstellungen [...] fest“ 5.

In keltischen Gebieten wird Juno auf Steinen und Säulen häufig genannt, aber immer als Gattin des Himmelskönigs Jupiter. Sylvia und Paul F. Botheroyd meinen, dass Caesar die Funktionen einer Muttergöttin, die auch Juno im römischen Pantheon innehatte, für die gallischen Provinzen von der keltischen Rigani (die römische Minerva), der Eulen- und Weisheitsgöttin, übernommen wurde. Dabei sei die keltische Rigani die Verkörperung der römischen Minerva, der Eulen- und Weisheitsgöttin.

Der zeitliche Ablauf spricht meines Erachtens dafür, dass Caesar die keltische Frauendreiheit nicht gekannt hat. Nach seiner Niederlage gegen den Stamm der Eburonen im Winter 55/54 v. u. Z. und seinem anschließenden brutalen Rachefeldzug gegen diese Menschen, gab es für ihn keine AnsprechpartnerInnen, die ihm von der Verehrung dieser keltischen Gottheiten hätten berichten können.

Erst mit der Neubesiedlung der fast brachliegenden Region durch den germanischen Stamm der ubischen Menschen aus dem Neuwieder Becken seit dem Jahr 38 v. Chr. war die Wiederherstellung alter religiöser Vorstellungen auch der überlebenden Eburonen möglich. Die römische Besatzungsmacht hat diese Verehrung nicht nur geduldet, sondern seit 161 u. Z. in den Matronensteinen sichtbar gemacht, als ein Teil der ansässigen Legion Minerva und ihrer Hilfstruppen aus Kelten und Germanen zur Niederschlagung der Parther Aufstände im heutigen Irak abziehen musste. Jetzt wurden Begriffe wie matronae und dea/deae für die weibliche Dreiheit in Stein gemeißelt.

Sollte wirklich die Göttin Juno aus der römischen Mythologie damit gemeint gewesen sein?

Juno war in der klassischen römischen Mythologie die Tochter der griechischen Göttin Rhea und des Saturn, Schwester und Gemahlin Jupiters, Mutter des Mars, Vulcanus, Ilithya und auch der griechischen Göttin Hebe.

Im römischen Pantheon war Juno als Schutzgöttin der Ehe, als Geburtsgöttin und Himmelskönigin und – ähnlich der Hera im klassischen Griechenland – als Juno inferia, als Göttin der Unterwelt und Gemahlin des Plutos bzw. Jupiters bekannt. Geweiht waren der Juno der Pfau, die Lilie sowie der Granatapfel, den wir bei den Matronen wieder finden.

Die griechischen Namen der Juno als Tochter von Rhea, als Mutter von Hebe und als die Himmelskönigin Hera geben uns erste Hinweise auf eine trinitarische Juno. Diese Spuren führen nicht nur in die klassische Mythologie Griechenlands, sondern auch in die vorhelleni-sche Zeit, in der ebenfalls Göttinnendreiheiten wie bei den Kelten verehrt wurden.

Hebe, Rhea und Hera - Wurzeln der trinitarischen Juno

Hebe ist die jungfräuliche Erscheinungsform der Göttermutter Hera/Juno, der Himmelskönigin. In ihrem Mutteraspekt (Hera) gebietet sie über den Baum des Lebens und dessen magische Äpfel. Baum und Äpfel finden sich auch bei den Matronen wieder. Hera ist eine spätere Version der prähellenischen Großen Mutter Rhea.

Hera, die Mutter der olympischen Götterwelt, schenkte als Hebe Nektar des ewigen Lebens. Ohne dieses Geschenk wären die Götter des Olymps sterblich geblieben. Heras Kult verbreitete sich in ganz Europa. Erst mit der Eroberung Griechenlands durch die Hellenen wurde Hera die zwangsverheiratete Frau des Zeus, später bei den Römern die wesensgleiche Juno, Frau des Jupiters.

Nun kennen wir mit Hebe den jungen Aspekt, mit Hera den umfassend-mütterlichen Aspekt. Heras/Junos zerstörender Winteraspekt, der Aspekt des Alten Weibes, verkörperte in der weiblichen Trinität die Göttin Hekate, bekannt auch als Athene oder Minerva, als Göttin der Weisheit und des Mondes. Ihr waren die Eule und die Raute, im Mittelmeerraum auch der Ölbaum, die Olive und das Öl geweiht.

Die winterliche Hekate war auch die Geburtshelferin der Sonne (Wintersonnenwende), versehen mit dem Begleittier Frosch, gleich Fötus.

Hekates römisches Pendant Minerva, Sinnbild menschlicher Intelligenz, war Beschützerin der Künste und Wissenschaften, Hüterin der Städte und des Handwerks, besonders des Spinnens und Webens, und galt im Altertum auch als Kriegsgöttin.

Es gibt in der römisch-griechischen Mythologie auch sabinisch-etruskische Wurzeln der trinitarischen Juno. Danach hatte Juno ihren Ursprung in der sabinisch-etruskischen Uni, einer triadischen weiblichen Gottheit, deren Name mit Yoni (das Zeichen für Mutterschoß) und Universum verwandt ist.

Noch eine vorrömische Göttin ist für die Deutung der trinitarischen Juno wichtig: die Göttin Io. Io heißt Mond und war eine andere Bezeichnung für die kuhäugige Hera/Juno.

Io repräsentierte als gehörnte Kuh den Mondrhythmus und den Zyklus der Frauen. Dabei wechselte sie ihre Farben von Weiß nach Rot, Rot nach Schwarz, Schwarz nach Weiß, die (inneren) Farben der weiblichen Trinität im gesamten Alten Europa, Farben, die auch mit der keltischen weiblichen Trinität, den Matronen, assoziiert werden.

Die Kapitolinische Trias

Sollte den römischen Bildhauern, den Stiftern und Stifterinnen aus allen Bevölkerungskreisen sowie den römischen Besatzern dieses alte Wissen und das daraus erwachsene Beziehungs-geflecht noch präsent gewesen sein, als sie die keltische Frauendreiheit matronae und dea/deae nannten?

Nun, Künstlern und Künstlerinnen traue ich diese Intuition zu, altes Wissen wieder sichtbar zu machen. Möglicherweise wirkte zur Zeit der Schaffung der Matronensteine aber auch die Erinnerung an Darstellungen der römischen männlich-weiblichen Dreiheit weiter: Die Kapitolinische Trias von 509 v. u. Z. zeigt Jupiter als Hauptgott in der Mitte, flankiert von Juno als Ehefrau und Minerva als ihre gemeinsame Tochter (Abb. 3). Die Künstlichkeit dieses Konstrukts ist meines Erachtens mit Händen zu greifen.


Abb. 3 - Juno, Jupiter, Minerva (v.r.n.lks.), heute: Rheinisches Landesmuseum Trier.

Matronae und dea/deae in der keltischen Frauendreiheit

Wie stark eine ursprüngliche Weltsicht, die Einsicht in die Naturzusammenhänge bot und die Menschen in Beziehung zur Sonne, zum Mond und zur Erde sowie zu den Tieren, den Pflanzen und zur jeweiligen Topographie setzte, als Sehnsucht in den Menschen lebendig blieb, beweisen meines Erachtens die geglückte Adaption der keltischen Matronen durch die neue Bevölkerung aus Kelten, Germanen und Römern sowie der Akt ihrer Steinwerdung.

Erst mit dem Wissen um die vorrömische, dreifaltige Juno machen auch die Inschriften auf vier Matronensteinen in Wesseling, Köln, Bonn und Kommern Sinn, die den Junonen gewidmet sind. Im Matronenheiligtum in Pesch in der Nord-Eifel spricht ein Fund dafür, dass Jupiter neben den Matronen friedlich einen Platz gefunden hatte, ohne ihre Bedeutung in Frage zu stellen. 6 Die Matronen mit ihren gut 800 Weihesteinen waren allgegenwärtig. *

So sind die Matronen zwischen Eifel und Rhein mit großer Wahrscheinlichkeit das steingewordene Ebenbild der vorrömischen, dreifaltigen Juno, der prähellenischen Hera sowie der neolithischen Großen Mutter, die keinen Glauben fordern, sondern uns das Füllhorn ihres Wissens und ihrer Weisheit anbieten.

Wissen und Weisheit in den Bildern der Matronensteine

Die Anordnung der Matronen sowie ihre Attribute lassen mich stark vermuten, dass die damalige Bevölkerung darin ihre Erkenntnisse um das zyklische Geschehen der Natur, des Lebens und des Universums sowie von Frauen für ihre Nachkommen festhielt.

Überlegungen zur Anordnung der Matronen und ihren Attributen

Die Anordnung der Matronen hat seit ihrer Wiederentdeckung seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu mehreren Überlegungen geführt.

a. Weibliche Genealogie von Frauen der mütterlichen Seite mit der Jungen in der Mitte, flankiert von Mutter und Großmutter, bzw. der Jött, der Gode oder Mate.

b. Darstellung einer dreifaltigen Göttin, die sich in Zyklen selbst erneuert (junge, erotische Kraft) und auch ihren mütterlichen sowie weisen und transzendenten Aspekt präsentiert

c. Dreiheit der Gestirne Sonne, Mond und Erde, wobei die mittlere Matrone die Erde verkörpert. Wir wissen heute, dass ohne die Kräfte der Sonne und des Mondes die Erde nicht in der Lage gewesen wäre und immer noch ist, vielfältiges Leben hervorzubringen und für dieses Leben eine Heimstätte zu sein.

Da alle Matronen Anhänger tragen, die an die Sichel des zunehmenden und/oder abnehmenden Mondes erinnern, folgere ich, dass diese Tatsache einen sehr starken Hinweis auf den Menstruationszyklus der Frauen gibt, der nachweislich seit mehr als 20.000 Jahren bekannt war (Frau v. Lauselle, Abb. 4) Ob die Frauen auch noch im Einklang mit dem Mondzyklus bei Schwarzmond menstruierten und von der Bedeutung des Vollmonds für eine evtl. Schwangerschaft wussten und durch dieses Wissen ihre Fruchtbarkeit regeln konnten, darf vermutet werden.

Alle Matronen halten auf bzw. tragen in ihren Schößen häufig Schalen mit dreierlei Früchten oder Schatzkästlein, selten scheinen es auch kleine Hasen oder Kälbchen zu sein. Die Früchte wurden schnell dahingehend gedeutet, dass die Menschen die Matronen um eine gute Fruchternte gebeten hätten, und dass die Matronen deshalb Fruchtbarkeitsgöttinnen wären.

Ich denke, dass der Begriff „Fruchtbarkeitsgöttin“ bei den Matronen zu kurz greift.

(Be-)Deutung der Früchte

Auf den Seiten von mindestens 80 der Weihesteine für die Matronen findet sich eine Anordnung von drei Früchten, die aus einem Füllhorn hervorquellen, und die sich auch in den Schößen der Matronen fast aller Matronensteine wiederzufinden scheinen. Das Füllhorn wiederum ist nach unten offen, als ob es aus der Erde gespeist wird. Im Gegensatz zu den Schoßfrüchten sind die Früchte des Füllhorns eindeutig zu erkennen. Wir können jeweils zwei Birnen und Granatäpfel ausmachen, die oben und links und rechts einen Pinienzapfen umschließen. Sowohl der Pinienzapfen als auch die Granatäpfel wuchsen nicht in dieser Region, die Birnen noch selten. Daher liegt die Vermutung nahe, dass diese Früchte symbolisch verstanden worden sind. Vielleicht als Symbole des mütterlichen Schoßes?


Abb. 4 - Venus von Laussel (auch Venus mit Horn)

Symbolik der Birne:

Von diesen drei Früchten ist die Symbolik der Birne vielen Frauen geläufig, vor allen Dingen, wenn ich zur Demonstration Daumen und Zeigefinger so halte, dass der gedachte Stiel nach unten zeigt, und die Frauen verstehen, dass es bei der Birne nicht um unsere heutigen großen Zuchtformen geht. Dann kommt ihre Antwort spontan: Birne gleich Gebärmutter.

Symbolik des Granatapfels:

Der Granatapfel ist die Frucht des Granat- oder Granatapfelbaums, den es auch in Strauchform gibt, mit purpurroten Blütenboden und eben solchen Kelchblättern sowie scharlachroten, seltener gelben Blumenblättern mit wohlschmeckenden, apfelgroßen und von einer ledrigen, purpurroten oder grünen, später gelb werdenden Schale umgebenen Früchte. Lat. Name ist: malum granatum gleich kernreicher Apfel, der aber auch Punica granatum, der purpurrote Kern und als Granatapfel der Karthager in Nordafrika der Antike galt. Die zahlreichen Kerne sind vom roten Fruchtfleisch umhüllt, das süßlich bis herb schmeckt.

Der hebr. Name ist „rimmon“, der heute noch in alten Orts- und Personennamen in Israel und Palästina vorkommt. In ihm wiederum steckt das Verb „rim“, d.h. ein Kind gebären. Im übertragenen Sinn wird also das Aufplatzen der Granatfrucht mit dem Geburtsvorgang verglichen. Das lässt sich meines Erachtens aber nur dann miteinander vergleichen, wenn die Menschen, in diesem Fall Frauen, auch schon wussten, was hinter bzw. oberhalb der Gebärmutter lag, nämlich die Eierstöcke, und auch die Bedeutung der Eierstöcke für das Leben bekannt war. Doris Wolf schließt aus der Darstellung der Großen Göttin als Kuhkopf (Was war vor den Pharaonen? Die Entdeckung der Urmütter Ägyptens, Zürich 1994), dass das medizinische Wissen um Gebärmutterm Ovarien und Eileitern in der vordynastischen Zeit bekannt gewesen sein muss.

Den Zusammenhang von Göttin und Granatapfel hatte der Bibelforscher Graves entdeckt. Er belegte, dass unter der Bezeichnung „Rimmon“ in der hebr. Bibel sich der Genitalschrein der Göttin verbarg, der ein Granatapfelschrein war. Der Text dazu im 2. Buch der Könige sagt aus, dass es einem zum Jahwe-Glauben Bekehrten wichtig war, dennoch mit seinem Herrn gemeinsam diesen Schrein aufsuchen zu dürfen, wofür er sogar Dispenz erhielt. (Gerda Weiler „Das Matriarchat im Alten Israel“, Stuttgart 1989)

Auch Salomos Tempelbau in Jerusalem stellt die Bedeutung des Granatsapfels und die der Lilien als Mutterschoßfrüchte und Blumen heraus. Menschen, die die Anweisungen zum Tempelbau mit patriarchal-geschulten Augen lesen, können die Bedeutung nicht mehr erkennen, da das Wissen dahinter verschwiegen worden bzw. verlorengegangen ist. Ähnlich geht es mit den Anweisungen für die Bekleidung der Priester aus der Aaron-Sippe im 2. Buch Mose. Sie sollen silberne Granatäpfel und Glöckchen am Saum tragen, damit die Menschen sie hören können, wenn die Priester im Dunkel der Stiftshütte für sie vor Gott stehen.

Die Granatäpfel werden neben Oliven, Datteln, Feigen, Trauben, Mandeln und Johannisbrot zu den sieben symbolischen Früchten der Bibel gezählt, die zu verspeisen besonderen Segen verheißt.

Nachdem der Granatapfelbaum von Asien her kommend im Vorderen Orient Fuß gefasst hatte, wurde er wahrscheinlich durch die Phönizier als Frucht- und Kultbaum und als Quelle von Heilmitteln im Mittelmeerraum verbreitet. Heute ist bekannt, dass die Frucht voller Östrogene steckt und getrocknet sogar zur Verhinderung von Schwangerschaften genutzt worden sein sollte.

Der Granatapfel galt als Symbol verschiedener Göttinnen wie der Astarte, eine Verkörperung der Großen Göttin, die wiederum gleichzusetzen ist mit der ägypt. Hathor und der zyprischen Aphrodite, allesamt unermüdlich schaffend und zerstörend, das Alte vernichtend und Neues hervorbringend, in einem ständigen Zyklus. Auch der spätere Mythos der gr. Demeter und Persephone oder Kore gehört dazu. Athene und der Juno wurden der Granatapfel ebenfalls zugeordnet, bei Juno im patriarchalisierten Rom als Zeichen der Ehe, ein nicht zu übersehender Gegensatz zu der Bedeutung der dreifaltigen Juno im Zusammenhang mit den Matronen.

Symbolik des Pinienzapfens

In der Mitte von zwei Birnen und zwei Granatäpfel erkennen wir einen auffallend großen Pinienzapfen. Er stand in der gesamten Antike für Ewiges Leben. Noch Karl der Große veranlasste beim Bau des Aachener Doms, dass ein großer silbriger Pinienzapfen als Blickfang das Innere der Kirche betonte. Würden wir das Äußere des Pinienzapfens auffächern, erhielten wir eine Fülle seiner harten Blätter, deren Form an das weibliche Schoßdreieck erinnern. Hinter diesen Schoßdreiecken kommt die Fülle der Pinienkerne hervor, und Pinienkerne wiederum halten unseren Stoffwechsel in Schwung.

Was aber ist die gemeinsame Aussage von zwei Birnen, zwei Granatäpfeln und einem Pinienzapfen in der Mitte?

Setzen wir nun das Wissen zusammen, so ließe sich die Aussage treffen: Ewiges Leben entsteht durch die immerwährende Weitergabe von Gebärmutter zu Gebärmutter, von Geburt zu Geburt. Und Frauen waren/sind Trägerinnen dieser alten Weisheit.

Und der Kranich am Fuß des Füllhorns? Er unterstreicht die Bedeutung des Zyklischen in der Natur und dem Leben der Menschen. Zweimal im Jahr überfliegt der „Vogel des Glücks“ die Matronenheiligtümer der Nord-Eifel, Ende Februar/Anfang März zu den Brutplätzen im Norden Europas, nach der Ernte Ende September bis Oktober auf dem Weg nach Süden. Ich wünsche mir, dass dieser Zyklus trotz Klimawandels noch lange erhalten bleibt und mit ihm die Weisheit der Matronensteine.

------------------------------------------------------------------------------------------------

Gudrun Nositschka, seit 1990 Veröffentlichung mehrerer Bücher zu Themen: Geschichte von unten, Frauengeschichte, Briefwechsel sowie Beiträge in Anthologien und Zeitungen. Matronenforschung und Führungen zu den gallo-römischen Heiligtümern. Vielfältige Vortragstätigkeit. Mail: gudno@web.de.

1 Foto: Gudrun Nositschka
2 Foto: Aufnahme Nettersheim 2003
3 Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Landesmuseums Trier
4 Foto: repro karmantan.de, Museum of Aquitaine, Bordeaux

* Das ist die größte je gefundene Anzahl von Weihesteinen außerhalb von Friedhöfen. Leider sind fast alle im Magazin der Rheinischen Landesmuseums verborgen. Meines Erachtens verdienen sie das Prädikat „WELTKULTUERBE“.

Weitere Literatur:

Barbara Walker, Das Geheime Wissen der Frauen, Lexikon, Frankfurt/M. 1993
Gudrun Nositschka, Gefährtinnen aus Stein, Beitrag im Jahrbuch 1997, Kr. Euskirchen

___________________________________________________________________

Anmerkungen

1) Zit. nach: Sylvia und Paul F. Botheroyd, Lexikon der keltischen Mythologie, München 1992, S. 89
2) Ebd., S. 244
3) Sophie Lange, Wo Göttinnen das Land beschützen. Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein, Bad Münstereifel 1995, 3. Aufl., S. 17.
4) Zit. nach: Menge-Güthling, Enzyklopädisches Wörterbuch, 1. Teil Lateinisch-Deutsch, Berlin 1955, S. 463
5) Zit. nach: Sylvia und Paul F. Botheroyd 1992, S. 171
6) Siehe auch Marianne Hochgeschurz, Ursprünge – Matri Arche, Historischer Wochenkalender 2006, Monat März.

Mechernich-Wachendorf 2011/2013




Zurück zu Karmantan




© Copyright karmantan.de